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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Schnupfen.
    Die eigene Gesundheit bemerkte er nicht.
    Diese kranken Menschen mussten ihr zerrüttetes Schicksal in den Blick bekommen, deshalb durfte der Raum nicht den Eindruck klinischer Sterilität erwecken, damit sie nicht im Bewusstsein ihrer Krankheit bestärkt wurden.
    Als gingen diese von Frau Szemző formulierten Forderungen über alle Systeme hinaus, die er bisher in seiner Vorstellung entworfen hatte. Sie schien der Meinung, dass man im Bewusstsein seiner Krankheit das eigene Schicksal nicht in den Blick bekommt. Oder im Selbstbewusstsein seiner Gesundheit. Dann aber entgeht dem Denken vielleicht alles, was nicht persönliche Erfahrung ist. Wahrscheinlich bin ich krankhaft gesund. Plötzlich war ihm aufgegangen, dass seinem Bewusstsein die Apperzeption sinn- und grundloser Dinge fehlte, da sie in seinem strengen Empirismus keinen Platz hatte.
    Mir könnte etwas Schlimmes zustoßen, etwas habe ich nicht verstanden oder verstehe es dauernd falsch.
    Er begann, Angst um sich zu haben.
    Frau Szemző hatte gegen das Wort heftig protestiert.
    Ich bitte Sie sehr, hatte sie gesagt und breit gelacht, über ihren starken Zähnen war ihr Gaumen ersckreckend sichtbar geworden, reden Sie mir nicht dauernd von Krankheit. Das, womit ich mich beschäftige, ist nicht Krankheit, nicht
maladie
, sondern höchstens
malaise
. Der Begriff muss streng an seinen gesellschaftlichen Kontext gebunden bleiben, darauf beharre ich, entschuldigen Sie schon. Die Seele hat ebenso eine Beschaffenheit und Eigenschaften wie der Körper. Zu mir kommen Menschen, und das müssen Sie einberechnen, Herr Architekt, die sich nicht so benehmen, wie man es der Konvention gemäß von ihnen erwartet.
    Aber das ist noch keine Krankheit.
    Oder im Gegenteil, sie halten so starr an den Konventionen fest, dass sie davon tatsächlich krank werden. Doch dann ist es klar, dass die Krankheit als Konsequenz zu betrachten ist.
    Um sich noch lächerlicher zu machen, protestierte er ungeschickt gegen Frau Szemzős Protest, versicherte kindlich, er verstehe durchaus, wie denn auch nicht, er habe viel psychologische Literatur gelesen.
    Frau Szemző unterbrach ihren angefangenen Satz nur kurz. Sie erfasste mit dem Blick, dass das teilweise stimmte, dass er sicher etwas aufgelesen hatte. Dann lachte sie ihn wieder breit an, es gefiel ihr, dass der Mann aufschnitt, ihr imponieren wollte, sie sah es ihm an, und unter diesem Blick zeigte sich Madzar wieder von seiner schwächsten Seite und wurde über und über rot.
    Er beobachtete die Frau, beneidete sie um ihren scharfen Blick, wollte sich rächen.
    Eine solche selbstbewusste Frau, so stellte er es sich vor, empfand nicht wie er Schmerz und Verlegenheit, sondern ging erhobenen Hauptes und gleichgültig ihren täglichen Geschäften nach.
    Ganz konnte er es sich doch nicht vorstellen. Schließlich kannte er die Lebensumstände und Tagesabläufe einer wohlhabenden und verwöhnten Budapester Jüdin nicht so genau.
    Doch er wusste schon, dass es ihr wehtat, es konnte nicht anders sein, so sehr konnte er sich nicht täuschen.
    Trotzdem sagte er sich, ach woher, wie sollte ich jemandem fehlen. In dieser kühlen Dämmerung dachte er nicht nur an Frau Szemző, sondern auch an die reiche Holländerin, vor der er aus Rotterdam geflohen war. Den Tagesablauf dieser Frau kannte er genau, und daraus vermochte er abzuleiten, was Frau Szemző machte. Er stellte sich vor, wie sich gerade der Klavierlehrer verabschiedet, der gern seinen Monatslohn hätte, die vergessen das immer wieder, während der andere Szemző-Junge, der gerade vom Sprachunterricht kommt, an der Wohnungstür klingelt. Frau Szemző hingegen hat das Gefühl, es gehe wieder einmal alles drunter und drüber in der alten Innenstadtwohnung, aus der sie in ein paar Monaten in ihr brandneues Haus ziehen werden, ins Grüne, ins Freie. Szemző unterhält sich gerade mit jemandem am Telefon, aber er will auch irgendetwas, er winkt und fuchtelt, während sie sich doch mit dem Umziehen beeilen muss. Bevor sie zur Oper aufbrechen, muss sie mit dem Dienstmädchen den Essensplan für die Woche durchgehen, darf aber Margit Huber und Mária Szapáry nicht warten lassen.
    Hol der Kuckuck den Monatslohn des Klavierlehrers.
    Ginge es nicht nächste Woche, bitte, fragt sie fordernd. Und obwohl der junge Mann sie verzweifelt anblickt, betrachtet sie die Sache als abgeschlossen. Na sehen Sie.
    Doch so glich sie eher der leicht hysterischen Holländerin als sich selbst.
    Aus ihren erfüllten

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