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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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ihnen die Sache zu Ende. Diese vor lauter Glätte peinlichen Gespräche wollte er nicht mehr. Für den geheimnisvollen Auftrag schien keine Zeit mehr zu sein. Seit sie hier saßen, stand der Kupferzylinder des Sprachrohrs offen, man hörte die Befehle des Steuermanns und von noch tiefer das Kohleschippen. Wahrscheinlich hörten auch die dort unten ihr Gespräch hier oben, oder zumindest Fetzen davon. Bellardi schien immer wieder drauf und dran, etwas zu sagen. In seinen Mundwinkeln, in der Tiefe seiner Stirnfalten erschien eine kindliche, oder eben doch erwachsene Altklugheit, der brave, gläubige Pfadfinder oder der tief enttäuschte Mann. Madzar hoffte, dass damit das eisige Schweigen, das mit Worten nicht aufzuwärmen war, zwischen ihnen gebrochen würde. Er hoffte vergeblich. Der brave Pfadfinder unterließ seine gute Tat, der tief enttäuschte Mann machte kein grundlegendes Geständnis. Der alte Kellner erschien immer wieder, um ihnen vom schlichten Szekszárder nachzuschenken, dessen etwas scharfer, erdiger Nachgeschmack mit dem leichten Wild sehr gut harmonierte.
    Er kam mit seinem pfeifenden Atem.
    Der Schiffsjunge hingegen kam nicht mehr, um dem Alten beim Abtragen zu helfen.
    Der pfeifende Atem verschob die angestrebte Gemütlichkeit auf immer andere Ebenen. Oder es kam das Dessert, beide aßen gebratenen Pfirsich.
    Die große, in zwei Hälften geschnittene Frucht, die jetzt außer Saison aus einem Einmachglas kam, war mit zerriebenem Lebkuchen gefüllt und auf einem gut bebutterten Blech, von einer dünnen Marzipanschicht überzogen, hellrot gebraten worden.
    Bellardi wollte dazu einen dritten Wein bestellen. Madzar wies den Vorschlag zurück, er bleibe lieber beim Szekszárder. Was dem Kapitän offensichtlich unangenehm war, als würde er dadurch an einer Befriedigung gehindert. Vielleicht machte er seiner Unzufriedenheit nur deshalb nicht Luft, weil sie bis dahin schon einen ziemlichen Schwips hatten, oder zumindest so taten. Sie saßen schwer auf ihren Stühlen und verstummten nun wirklich. Wieder einmal hatten sie sich bis zu einem gewissen Grad über, beziehungsweise sie legten die eisige Ruhe, mit der sie die Fremdheit des anderen betrachteten, lieber so aus.
    Sie taten, als starrten sie einfach vor sich hin, oder sie schauten in die reglose Nacht hinaus, wo der Fluss nur noch mit seinen Geräuschen Zeichen gab. Das Verletztsein des einen verletzte den anderen schonungslos, und so war das Schweigen nicht leer.

Im Sommer siebenundfünfzig dann
    Ich habe noch im Ohr, wie die Hinterwand des Kellers gleichmäßig und dumpf dröhnt.
    Während wir auf der Plattform des dahineilenden Zugs standen und er erzählte, es so erzählte, wie auch ich mich erinnerte.
    Es gab den Artilleriebeschuss, alles brummte und zitterte, die Minenwerfer, die die Erde beben ließen, es gab die Einschüsse, die näheren oder entfernteren Explosionen, bei denen sich das Gebäude über uns gleichsam unzufrieden schüttelte, den Luftdruck, dem die Wände ängstlich auswichen oder vor dem sie sich platt machten, während in den Gewölben der Kellergänge die Kerzenflammen erloschen oder lang wurden, dann waren da die bellenden, dreschenden Salven der Maschinengewehre und Maschinenpistolen, einmal länger, einmal kürzer, einmal aufgeregte Monologe, dann wieder eine behagliche Zwiesprache, doch gut abgesetzt von allen diesen Tönen, sozusagen ihnen allen entgegen oder mit ihnen allen zusammen, war das gleichmäßige Klopfen zu hören, mit dem von beiden Seiten gleichzeitig mittels Haken und Bohrern und Hämmern die Kellerwand durchgebrochen wurde.
    Er erzählte, wie sie in die unter ständigem Beschuss stehende Kiliánskaserne hinübergelangten.
    Zu uns brachen sie aus einem Keller der Eötvös-Straße durch, und von dort kam man unter mehreren Gebäuden hindurch in die Szófia-Straße hinaus.
    Bis zur Morgendämmerung hatte man sich aus der Mausefalle befreit.
    Ich erfuhr von ihm fast nur nebenbei, während im dahineilenden Zug die hereinschlagende Luft sein offenes Hemd aufblies, dass die Menschen in jener Nacht nicht nur unter der Ringstraße, nicht nur unter unserem Haus, nicht nur unter den Nachbarhäusern, sondern in der ganzen Stadt ein unterirdisches Labyrinth aufgemacht hatten.
    Im Sommer siebenundfünfzig dann erinnerte man sich nicht mehr recht, jedenfalls sprach niemand mehr davon. Die Erinnerung an die persönlichen Erlebnisse musste jeder für sich tilgen. Oder vielleicht konnte und wollte ich mich nicht erinnern. Es

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