Parallelgeschichten
was sie suchte, ob sie in ihrer Erinnerung finden würde, was ihr Gehör hinter ihrem inneren Monolog herausflüsterte oder anstelle des Monologs anbot und was sie so sehr begehrte, dass sie es heraussingen musste.
Man kann nicht pauschal singen, mein Kind, das müssen Sie als absolutes Grundprinzip akzeptieren.
Ihrem Bedürfnis zu weinen eine musikalische Form geben.
Ob Sie es akzeptieren oder nicht, es ist ein Grundprinzip, dass man allem eine Form geben muss.
Bitterkeit war doch überhaupt nicht angebracht, mit diesem Mann hätte sie wirklich glücklich sein müssen. Sie tastete mit gestreckten Fingern ihren straffen kleinen Bauch mehrmals ab, ob sie nicht doch plötzlich schwanger sei.
Auch dem Formlosen muss man eine Form geben, verstehen Sie das denn nicht.
Nur etwas Bestimmtes können Sie auf eine bestimmte Art singen, Gyöngyvér, und wenn Sie dafür keine eigene Form finden, rief Margit Huber und hämmerte wild auf den Flügel, um diesem dummen Mädchen zu zeigen, was mit formlosen Tönen passiert, das Chaos passiert, null und nichts, und dann ist Ihr ganzer Weltschmerz keinen Pfifferling wert. Sowenig wie Ihre Begeisterung, null und nichts, Hysterie, zéro, verstehen Sie, nichts, schrie sie und klimperte erregt.
Ohne aber ihr ätherisches Lächeln aufzugeben, mit dem sie Gyöngyvér doch bezauberte.
Noch bevor Sie vor der Phrase Luft holen, müssen Sie schon wissen, Gyöngyvér, was Sie tun wollen.
Die beiden Fis sind am Ende wieder verrutscht.
Passen Sie auf, Gyöngyvér, fassen Sie den Ton nicht von unten.
Anstelle der Formen fand Gyöngyvér Mózes lauter Dinge, die sie noch weinerlicher stimmten. Wie soll man denn im Voraus wissen, was man beim Singen warum tut, oder warum man es nicht tun kann. Um etwas zu formen, müsste man die Zeit aufheben, sie hingegen nährte kleinmädchenhafte Wünsche, leere Phantasien. Wie schön wäre es, mit einem Mal eine berühmte Sängerin zu sein, als könnten ihre diesbezüglichen Anstrengungen plötzlich von Erfolg gekrönt sein und sie würde mitsamt ihren innigen Gefühlen sofort auf den großen Bühnen der Welt stehen. Da könnte das Médilein dann Augen machen. Sie sah sich mit ihrem Nerzmantel, den hochgeschlagenen Kragen festhaltend, aus dem Taxi steigen und kein einziges Autogramm gewähren.
Zu den großen Gefühlen gehörte, dass sie eigentlich Italienisch konnte und es dazu nur einer plötzlichen Erleuchtung bedurfte.
Keine große Sache.
Manchmal probierte sie es, wartete lange und geduldig, dass ihr Geist erleuchtet werde, da doch die Gefühle ihres jetzigen Lebens die Gefühle ihrer zahlreichen früheren Leben verdeckten.
Wenn sie lange beobachtete, was hinter den Gefühlen steckte, sah sie deutlich ein vergangenes Wissen hervordämmern. Nur aus einem früheren Leben konnte das Gefühl stammen, dass sie auch schon ein Mann gewesen war, ein Italiener und Kastrat, und dass nur ihre grenzenlose Bescheidenheit und Verschämtheit sie nicht an das wahre Wissen heranließen, das sie in ihrem früheren Leben angehäuft hatte. Na schön, sie kannte die italienischen Wörter nicht, oder wenn doch, verstand sie ihre Bedeutung nicht, in ihrem früheren Leben hatte sie hingegen nicht Ungarisch gekonnt, aber allmählich würde ihr alles wieder einfallen, und sie würde anhand ihres jetzigen ungarischen Wissens ihre früheren Kenntnisse aktivieren können. Italienisch konnte sie gerade deswegen nicht lernen, weil die italienischen Wörter und die italienische Grammatik in ihrem Kopf schon vorhanden waren. Sie hätte nur irgendwie daran herankommen müssen. Beim Bemühen, zu dem vergessenen Wissen zurückzufinden, stolperte sie stattdessen über grobe inhaltliche Fehler und simple technische Unzulänglichkeiten, auf die sie Margit Huber denn auch dauernd aufmerksam machte, ohne dass es etwas nützte.
Sie wollen immer nur den Erfolg, mein Kind.
Aber man kann doch nicht so vieles gleichzeitig im Kopf behalten, wie es Médilein von mir verlangt.
Jammern Sie nicht, mit Selbstmitleid kommen Sie nirgendshin.
Wenn sie ihre Stimme jeden Tag anständig ein paarmal Tonleitern üben ließe, würde sie den richtigen Ton bestimmt finden.
Damit sie anstelle des ewigen Lernens und Tonleiterübens doch endlich frei singen könnte.
Bitte mich nicht dauernd unterbrechen, dann werde ich schon singen können.
Nach so viel unbeherrschtem Geschrei kann man allerdings nicht erwarten, dass die Stimme vorhanden ist, dachte sie mit ihrem erschöpften und nackten Körper
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