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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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gekommen wären. Aus eiligen, ungeduldigen Bewegungen, die hin und wieder sogar ein bisschen Freude spendeten, oder zumindest die Erinnerung an die Freude weckten. Diese Sekundenbruchteile waren es, die sie aufeinander zu stießen, viel näher, als sie es je erlebt hatten. Sie erfüllten dem anderen gegenüber eine Pflicht, wenn der es doch so wollte, nicht für sich, für den anderen wollten sie das wenige Gute, das jeder Männerkörper beim anderen kennt, doch es kam ganz schief heraus, es wurde immer schwerer, nur aus Rücksicht Befremden, Verlegenheit, ja, sogar Lachreiz zu unterdrücken, so dass sie es nach einer Weile verständnislos aufgaben. Sie standen in dem Versteck einfach da, die Köpfe aneinandergelehnt, sich an Schultern und Hüfte fest und schonungsvoll umarmend. Und darauf achtend, dass sich ihre Lenden nicht wieder berührten.
    Jetzt aber schien Kammer für den Peix Luft zu sein.
    Bulla war es, der sich ihm zuwandte, der mit runden, klugen braunen Augen Kammer anschaute, der ihm das Leben gerettet hatte und jetzt seinetwegen gehen musste. Falls er doch nicht gehen würde, denn er sperrte sich sichtlich, würden sie ihn in wenigen Augenblicken mit den Hunden holen kommen.
    Bulla rechnete damit, dass ihm Kammer einen Kinnhaken verpasste.
    Kammer wäre vielleicht wirklich zu ihnen hingetreten, hätte vielleicht den kleinen Hugenotten doch noch umarmt, und erst danach wäre er gegangen. Vielleicht hätte er sogar einen Kuss auf die schön gerippten weiblichen Lippen gehaucht. Was den Peix tödlich irritiert hätte, wie fast alle Berührungen und Gefühle.
    Plötzlich verstand er Peix’ Absicht, aber dieses eine Mal zu spät.
    Er hatte keine Zeit zu rufen oder dazwischenzutreten, Peix hatte den tief herunterhängenden schweren Lampenschirm schon gepackt, etwas angehoben, wie um die Richtung abzuschätzen, ausgeholt und mit einem einzigen fürchterlichen Schlag dem Bulla den Schädel eingeschlagen. Ein Spalt entstand vom Ohr bis zur Stirn, man hörte so etwas wie ein Winseln, das starke Licht der Lampe leuchtete einen Augenblick in die weiche, glänzende, rosarot reglose Hirnmasse hinein, bis der Körper mit einem kurzen Ächzen zusammenbrach.
    Peix ließ die Lampe los, die blutigen Schleim verspritzend und mit zuckendem Licht auf ihren Platz zurückschwang, während die ungarische Gräfin knisternd und beschwingt sang, schaukelte ihr Licht unregelmäßig hin und her.
    Wir kommen, antwortete Peix verspätet auf die Lautsprecherdurchsage, fast wiehernd vor Freude. Er lachte selten laut, aber wenn er es tat, wieherte er wie ein Pferd. Kammer liebte dieses höllische Lachen ganz besonders. Als rufe Peix, na ja, das war wenigstens anständiges Männerhandwerk. Und es war wirklich so, sie konnten gehen, der Lautsprecher verstummte in diesem Augenblick.
    Obersturmführer Döhring, der zuvor Kammer zum Südtor befohlen hatte, sagte jetzt, Peix zum Südtor.
    Auf dem riesigen Appellplatz durften sie noch nebeneinandergehen, den Kopf stark gesenkt, schauten sie sich kein einziges Mal an. Es war, als trennten sie sich in tödlichem Zank und Hader, auch wenn keiner von ihnen hätte sagen können warum. Dort auf der anderen Seite warteten sie mit den Hunden, und von da an wurden die beiden einzeln weitergeführt. Hinaus durch das von Scheinwerfern hell beleuchtete Tor, dessen beide Flügel jetzt ungewöhnlicherweise offen standen. Eine Weile wurden sie über den dunkel und nass glänzenden Asphaltweg geführt, ihre Holzpantinen klapperten zwischen den Stiefeln. An einer Stelle, wo das Scheinwerferlicht kaum mehr hinreichte, führte man sie vom Weg ab. Der Himmel wurde allmählich hell. Hier draußen war auch der Lautsprecher nicht mehr deutlich zu hören. Nur gerade so viel, dass jemand immer wieder das Gleiche sang, eine Frau. Deutlicher zu hören war das Artilleriefeuer, dem Dröhnen vorausgehend war am noch dunklen westlichen Horizont der Widerschein der Mündungsfeuer zu sehen. Im allerletzten Augenblick würde es geschehen, Kammer sah das jetzt. Die morgendlichen Kessel würden nicht mehr gebracht werden, keine Rübensuppe mehr zum Frühstück. Deshalb war der stundenlange Appell ausgeblieben. Es amüsierte ihn sogar, dass er diese Schicksalswende noch mitbekam, auch wenn er die Information nicht mehr an die Genossen weiterleiten konnte. Sie beide würden umgebracht werden, dann würde man das Lager durch das weit aufgesperrte Tor in geordneten Reihen evakuieren. Der Quarantäneblock mit den Kranken und

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