Parallelgeschichten
dass er alle ihre Hemmungen überwand. Obwohl sie doch erzogen war, sich von der schwarzen Magie schaudernd fernzuhalten, jegliche Esoterik abzulehnen und den Aberglauben zu verachten. Ein derartiger geheimnisvoller Austausch zwischen verschiedenen Leben sollte also möglich sein. Und sie hatte das jetzt entdeckt, war ihm auf die Spur gekommen, auch wenn sie davon niemandem erzählen durfte, weil man sie als verrückt ansehen würde.
Oder wäre ein solcher ungehinderter Übergang nur zwischen Männern möglich, fragte sie sich erschrocken zweifelnd.
Das war sehr wahrscheinlich, sie spürte es irgendwie in den Muskeln ihrer Oberschenkel, hätte sie stärker spreizen wollen, tat es auch, presste sie dann erschrocken noch enger zusammen. Sie brauchte die ihr gegenübersitzende Variante nur anzuschauen, um zu spüren, dass sie diese verrückte Anziehung nicht für die Persönlichkeit, sondern für die reine Körperlichkeit empfand. Diese Männer haben keine individuelle Persönlichkeit. Dann ist aber sie wahnsinnig geworden. Bestimmt hatte ihre Mutter sie und ihre Schwestern aus einem ähnlichen Grund verlassen. Bestimmt glich der große Windbeutel ihrem Vater, besser, ihr Vater war bloß der Doppelgänger des Windbeutels, und ihre Mutter hatte die Kopie zugunsten des Originals verlassen müssen, hatte sie kurzerhand ausgetauscht.
Warum denn auch nicht, ist doch logisch, dass sie es tun musste.
Bei Frauen hatte sie das noch nie erlebt, Frauen sind ganz verschieden und legen auch Wert darauf. Die hingegen, die Männer, sind austauschbar. Wen immer du wählst, flüsterte diese neue Stimme, du bist es, die wählen muss, denen ist es ganz egal, wen sie schwängern. Sie spürte das Erregende des Gedankens an ihren trotz bequemer Schuhe verspannten Füßen, an ihren Haaransätzen, es ließ sie nicht los, verfolgte sie richtiggehend, dass sie also nicht die Kopie, klar, sondern das Original wählen musste, der Gedanke tat ihrem Hirn weh, nicht die Fälschung, sondern das Original, aber es war nicht zu leugnen, dass der Gedanke sie auch an ihren von der Berührung der Seidenbluse empfindlichen Brüsten und in der Tiefe ihres Schoßes quälte. Also erzählte sie rasch und mit durchdringender Stimme von den in vieler Hinsicht überraschenden Schamlosigkeiten, die sich dieser ergreifend große Künstler mit der Gattin des berühmten Architekten herausgenommen hatte, auf sehr kühne Art, sagen wir es ehrlich. Wäre er nicht ein Künstler, würde man ihm eine solche Maßlosigkeit nicht verzeihen.
Er habe nämlich den Damen von der tiefen Bewunderung und gefühlsmäßigen Hingabe gesprochen, die er für Margrets Mann vom ersten Augenblick an empfunden habe, und mit diesem Geständnis habe er sie, in der Tat, alle in Verlegenheit gebracht, dieser Speichellecker, dachte sie auf Ungarisch, jeder Künstler ist ein geborener Speichellecker, ihm verdanke er ja auch seinen großen Auftrag, sagte sie auf Deutsch und lachte.
Immer noch lachend fragte sie den Freiherrn, der in seinen eigenen Monolog vertieft war, ob er das Privileg habe, die erstaunliche Geschichte des Treffens zwischen den beiden großen Künstlern zu kennen.
Das Treffen zwischen Giganten, wie sie ruhig behaupten dürfe.
Ihr aufgeregtes, schneidendes Stimmchen drang süß durch die andern Stimmen hindurch.
Sie war einfach glücklich, denn sie dachte nicht mehr daran, dass sie ja bald die Nähe dieses Mannes wieder aufgeben und in ihr Stadtpalais in der Tárnok-Straße in Buda zurückkehren musste.
Die sonnenheiße Stadt am Fluss war in ihrer undurchsichtigen, wirren Vergangenheit versunken.
Die Nabelschnur war gerissen.
Sie erhielt zwar keine Antwort, rechnete wohl auch gar nicht damit, so wie auch sie nicht auf alles antwortete, was ihr unterdessen von der Schuer ungebeten von seinen Jugenderlebnissen beim Thüringer Abenteuer erzählte.
Während sie beide mit dem, was sie in den Augen des anderen fanden und sich auch gleich aneigneten, zufrieden sein konnten.
Mit ihrer scharfen kleinen Stimme bezauberte sie von der Schuer, sein an wissenschaftlichen Vorträgen geschulter warmer Bass hinterließ bei ihr den gleichen tiefen Eindruck. Wissen Sie, Gräfin, es war so, das will ich mit Ihrer Erlaubnis noch erzählen, dass wir vor dem Weitermarsch in Friedrichroda hätten haltmachen sollen, um auch dort aufzuräumen. Die beiden ließen den Körper des anderen vibrieren wie eine Pauke, sie durchdrangen die körperliche Materie des anderen, und so brauchte keiner von
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