Parallelgeschichten
niemanden. Nichts rührte sich, nirgends, aber er ließ sich nicht mehr vom Schein täuschen, den andere schufen. Als das Seelenglöcklein ganz verstummt war, hörte er keine unerklärlichen Geräusche. Er ließ einen scharfen Blick über die Pfade und die entfernteren Beete gleiten. Sah zertrampelte Schollen, flachgedrückte Gräser, vorsichtige Spuren von Absätzen und Sohlen. Sie mochten alt oder neu sein, konnten auch von einem Fremden stammen. Er besaß zwei Rechen, der mit den dichteren Zähnen war zweckdienlicher. Ich esse dann am Abend zu Mittag, sagte er sich, als könne er sich mit den Ansprüchen des Körpers und der Tageszeit nicht weiter abgeben. Er würde von den vier Grenzpfählen her aufs Haus zu rechen. Wenn ich damit heute nicht fertig werde, dann halt morgen. Er brauchte es nicht zu übereilen, es ging ihm ja nicht um eine Großtat, sondern ums Verschwindenlassen der Spuren. Der Rechen blieb zuweilen an einem Grasbüschel stecken, grub sich dann mit den dichten Zähnen noch tiefer. Balter glättete die eventuell irreführende Vertiefung sorgfältig aus. Das war die einzige Methode, um sich völlige Klarheit zu verschaffen.
Unter dem Baum verweilte er länger, ohne sich um Hitze und Bremsen zu kümmern, arbeitete er exakt um die heruntergefallenen Aprikosen herum, die unterdessen schon von Fliegen und Ameisen bedeckt waren.
Eingehüllt in die schwere Stille, war er doch nicht ganz zufrieden. Etwas, das er nicht hätte benennen können, störte ihn. Bis ihm aufging, dass er die Position jeder Aprikose einzeln markieren musste.
Er zog Kreise um sie.
Wieder die rote Abenddämmerung, als er mit dem Durchrechen des Geländes viel früher als gedacht fertig geworden war. Er ging zum Haus zurück und ließ von der Schwelle aus die eigenen Spuren verschwinden. Es blieb kein Flecken Erde auf seinem Land, der nicht von feinen Furchen durchzogen war. Schwere Stille legte sich über die Landschaft. Er schlang Brot, Frühlingszwiebeln und Wurst hinunter, fand aber keinen Tropfen Wasser in der Kanne.
Um diese Zeit ging er nicht mehr ins Dorf, um Wasser zu holen. Auf das Rauschen seines gefährlich verdickten Bluts im Ohr achtend war er in jener Nacht nicht der Einzige, der durstig wachte.
Im Weidenhain am Ufer rief ein Kauz, Wasser, das auf regloses Wasser tropft, klingt so.
Hin und wieder fiel eine reife Aprikose herunter.
Von der Haustür oder dem Fenster seines Zimmerchens aus ließ sich nicht das ganze Gelände im Blick behalten. Wegen der Rebenstrünke und der größeren Pflaumen- und Weichselbäume konnte er die weiter unten liegenden Bereiche nicht einsehen. Im Dunkeln verschob sich seine Aufmerksamkeit aufs Hören.
Etwas später ging auch die abnehmende Sichel eines fahlgelb leuchtenden Mondes auf, aber das verstärkte für seine Augen das Durcheinander eher noch. Er sah nicht in die Tiefe der langen Schatten hinein. Bis Mitternacht hatte sich die Luft abgekühlt, Dunst stieg auf und verdeckte vieles, auch wenn der Nachthimmel rein und gestirnt blieb, mit einem blau glühenden Mondlicht. Er nahm das Blinken eines Glühwürmchens für das Näherkommen einer im Gesträuch umhertastenden Lampe.
Mehr geschah nicht in dieser schönen Nacht.
Er hatte genügend Erfahrung im Wachen.
Die Gefangenen brüllten zuweilen auch im Schlaf, ein guter Wärter durfte an Aufmerksamkeit nicht nachlassen, um diese Zeit wurde das Frischfleisch gefickt, oder es wurde gemordet.
In dieser durstigen Nacht fiel ihm zum ersten Mal seine Hochzeitsnacht ein.
Er achtete nicht darauf, und so merkte er auch nicht, welche Richtung seine Erinnerung nahm. Als gelange er an die Quelle der Bitternis seines Lebens. Was hatten sie da eigentlich miteinander getrieben, aber bevor er sich in seine tödliche Schmach versenken konnte, fiel ihm wieder seine begehrenswerte Schwägerin ein. Als sie endlich in der Küche allein gewesen waren, in der Hauswartswohnung am Theresienring, im Zwischenstock.
Fürs Erste hatte man bei dem strömenden Regen niemanden befürchten müssen.
Zur selben Zeit lag Dávid auf dem Bauch unter einer leichten Decke, mit einem angezogenen Knie, und öffnete in diesem Augenblick seine Augen ins Dunkel des Zimmers. Durch die nicht ganz geschlossenen Spalten der Läden kam das kalte Licht in lockeren Streifen herein. Im aufgeworfenen Teppich sah er die hohen Furchen eines gepflügten herbstlichen Felds. Er horchte auf die gleichmäßige, luftige Musik der Grillen, der Zug der Grubenwagen im fernen Steinbruch
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