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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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leichthin sagen können, es hat sich die lausige Situation ergeben, dass mein Leben seit Monaten vollkommen freudlos ist. Doch das konnte er nicht aussprechen, konnte die schreckliche Bedrücktheit nicht auf diese Art mildern, denn diese Aasgeier wussten schon, dass er nicht impotent war und sie bloß davon ablenken wollte, dass er mit viel größeren, viel unlösbareren Sorgen rang. Deshalb hätte er etwas Gewichtiges sagen wollen, das zum Teil auch wahr sein mochte, damit sie nicht unwillkürlich aufs Sperrgebiet getrieben wurden und dort das wahre Gesicht des anderen erblickten. Oder er hätte sonst etwas sagen können. Jungs, das Problem ist, dass ich mich verliebt habe. Dieser Satz wäre etwas leichter auszusprechen gewesen.
Le coup de foudre.
Doch das hätte sie auf noch gefährlicheres Terrain führen können. Denn diese Aasgeier wussten auch das, dass er nicht verliebt war, nie gewesen war, nie sein würde, sondern dass er schon wieder heftig nach einer Lösung suchte, und auch er wusste, dass er auswich. Lieber tatsächlich impotent, wo sein Leben schon so unendlich trost- und freudlos war.
    In diesem Augenblick kam von irgendwoher ein fürchterliches Geschrei und Gekrache, und ihre intime kleine Geschichte fand ein plötzliches Ende.
    Jemand war gestürzt, oder man schlug ihn, es klang wie Püffe und Hiebe auf einem Körper, aber vielleicht war schon vorher das Fenster zerbrochen. Gleichzeitig war etwas umgekippt und auf den Fußboden geknallt.
    Eine Frauenstimme schrie um Hilfe.
    Hans sprang sofort auf, wobei es ihn gegen ihre Körper schleuderte, er riss sich, wohl vor Schreck, das Handtuch vom Hals, aber als die drei hinblickten und nach der ersten Überraschung auch etwas sehen konnten, war da nur der Gang in bedrohlicher Ruhe.
    Ein umgekippter Tisch, ein Körper auf den feucht glänzenden gelben Fliesen.
    Das Kreischen des durch das zerbrochene Fenster eindringenden Winds.
    Was ist passiert, Rózsika, rief Hans der Billettfrau zu, die über den aufragenden Beinen des umgekippten Tisches stand wie jemand, der einen anderen Menschen zu Boden geschmettert hat und nicht weiß, was er mit ihm anfangen soll.
    Vielleicht hatte sie ihn umgebracht.
    Sicher, sie war in Verteidigungsbereitschaft gewesen, hatte ihre dicken Beine gegen das Querholz gestemmt, aber am Ende hatte sie sich nicht verteidigen müssen. Den Tisch hatte sie vor Schreck und Überraschung umgekippt. Sie hatte diesem Unglückseligen zu Hilfe eilen wollen. Wie bleich er war, hatte sie schon vorher gesehen, und als sie wieder aufblickte, sah sie seine verdrehten Augen beziehungsweise nur das Weiße der Augen, was ja ziemlich erschreckend ist. Die Pupillen hatte es irgendwohin verdreht. Aber sie dachte an nichts, auch da noch dachte sie an nichts. Obwohl sie sah, dass auf den leicht geöffneten Lippen des jungen Mannes der Speichel schaumig wurde. Und dass er irgendwie entsetzlich schrie, als wolle er etwas sagen, etwas fragen; und als würde sein ganzer stürzender Körper, weil es so schwer, so schwer auszusprechen war, in diesen Schrei hineingespannt.
    Ágost blieb gleichgültig wie ein unbeteiligter Zuschauer. Auf Andrés markanten Zügen zeigten sich eine kindliche Überraschung und vor allem das Entsetzen, dass ihn das Ganze irgendwie angehen könnte.
    Hans war der Erste, der die Situation erfasste.
    Verdammt, schon wieder, sagte er leise und wütend auf Deutsch und mehr zu sich selbst, während er mit einer blitzschnellen Bewegung den flachen rosaroten Flakon mit Andrés Körpercreme von der Bank schnappte und, die beiden anderen beiseitestoßend, loslief. Untereinander redeten sie auch sonst hin und wieder in einer Fremdsprache, doch diese seltsame kleine Bemerkung war etwas anderes, eher etwas Altes, das eben gerade aus den Tiefen der Zeit emporgeschnellt war. Er rannte mit riesigen Schritten und verlor dabei eine seiner Badelatschen. Er brüllte. Etwas Weiches, Rózsika. Ihr Kissen, Ihren Cardigan, irgendwas. Er verlangte es mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte er in solchen Dingen Übung. Aber sein Brüllen drang nicht ins Bewusstsein der Frau, obwohl sie bloß hinter sich hätte greifen müssen, um diese Gegenstände zu erreichen. Sie verstand nicht, was für ein Kissen, was für ein Cardigan, und wozu denn, wenn ein Mensch am Verbluten war. Sie stand über dem Tisch wie ein Ölgötze. Der auf dem Boden liegende Körper spannte sich zu einem Bogen, als wolle er aufspringen. Unter seinem Kopf floss Blut hervor. Verbreitete

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