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Parallelgeschichten

Parallelgeschichten

Titel: Parallelgeschichten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Péter Nádas
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Telefon gab keinen Ton von sich, da konnte er noch so auf die Gabel schlagen.
    Der leere ebenerdige Gang hatte sich unterdessen plötzlich belebt, mit Leuten, die auf die erschreckenden Geräusche hin zum Vorschein gekommen und herbeigelaufen waren. Halb angezogene Badegäste und entsetzte, hilflose Mitglieder des Personals. So etwa ein älterer Kabinenaufseher, dessen Schädel von einer fürchterlichen Kriegsverletzung, zwei glänzenden Dellen, verunstaltet war, die beiden jüngeren Frauen von der Garderobe, die diesem hübschen jungen Mann gern die Stange hielten, schon um der Frau Rózsi ein wenig auf die Hühneraugen zu treten, sowie der Schwimmlehrer mit den Dauerwellen, ein schon etwas angejahrter, nervöser Schönling, der zu dieser Stunde keinen einzigen Schüler hatte. Jeder sagte sein Sprüchlein, jeder schrie und fragte zusammenhanglos, was passiert sei, als könnte es nicht jeder sehen, und Rózsika gab ihrer Empörung immer lauteren Ausdruck. Der Anfall ging von seiner tonischen Phase in die klonische über, was bedeutete, dass der auf dem Boden liegende Körper in raschem Wechsel erschlaffte und sich spannte, während das Gesicht wie von einer schrecklichen Hand zerknittert schien. Das Blut floss immer schön weiter durch die Rillen der gelben Fliesen, aber nur Hans bemerkte, dass es immer wässeriger wurde.
    Das Kissen war noch warm vom großen Hintern der entrüsteten Frau. Hans wartete ab, bis der ohnmächtige Körper schlaff wurde, schob es dann zwischen Bodenplatten und Kopf. Als er den steinstarren Kopf anhob, griff er in dickes Blut, und er hatte das Gefühl, seine Finger glitten in eine offene Wunde hinein. Die Kopfhaut ist voller Kapillaren, und so üppig das Blut sprudelt, so rasch verebbt es auch. Zumindest hoffte Hans, dass es keine schwere Kopfverletzung war. Die tonischen und klonischen Anfälle wechselten immer rascher, die Halsmuskeln des jungen Mannes lockerten sich, und der im Gegenrhythmus zuckende Körper warf den leblosen Kopf auf dem roten Kissen hin und her. Hans beobachtete und wartete, und auf einmal ergab sich ein kurzer Moment, in dem er den rosaroten Flakon doch noch geschickt zwischen die Zähne stoßen konnte.
    Währenddessen schien das sinnlose Geschrei über ihren Köpfen immer lauter geworden zu sein.
    Zudem kamen neue Gäste an, im falschesten Augenblick. Der sich auf dem Boden wälzende Körper, die langen Beine des vor ihm knienden Mannes, der umgestoßene Tisch und darüber das laut schimpfende wuchtige Frauenzimmer ließen den Eintretenden nur knapp Platz, zwei hatten sogar Mühe, überhaupt hereinzugelangen. Zwei erschrockene junge Mädchen, die neugierig durch das beschlagene Fenster der Schwingtür hereinschauten.

Der echte Leistikow
    Im Esszimmer der Tante hing an der leeren Wand ein einziges Ölbild von Bedeutung und ansehnlichem Ausmaß, ein Leistikow, der zuweilen in Ausstellungen, Alben und Katalogen zu sehen war. Hin und wieder kamen Arbeiter, hängten ihn ab, verpackten ihn und nahmen ihn mit. Zurück brachten sie ihn jedes Mal nach ziemlich langer Zeit, und dann hing er wieder an der riesigen leeren Wand, so wie an diesem Wintervormittag.
    Die Schatten der im starken Wind wippenden Zweige vertieften seine Perspektive.
    Selbstverständlich enthielten die Kataloge die wesentlichen Angaben zum Bild, seine Maße, seinen Titel, die Tatsache, dass das Werk signiert war, aber auf Verlangen der Tante hieß es jeweils nur, dass es sich in Privatbesitz befinde. Döhring hatte als Kind oft und lange über dieses Wort nachgedacht. Da gab es auf der Welt einen wertvollen Gegenstand, für Fremde meist unzugänglich, und sogar sein Ort wurde geheim gehalten. Er musste daran denken, dass er es einer seltsamen Verkettung glücklicher Zufälle verdankte, wenn er nahezu jederzeit ein Bild sehen durfte, das andere fast nie zu sehen bekamen. Was war das für eine launische Verkettung, er verstand es nicht, verstand auch nicht, was Zufall, was Glück bedeuten. Bestimmt hätte er später nicht Philosophie belegt, wenn sich in seinem Denken nicht solche Fragen festgesetzt hätten. Das Bild war rätselhaft genug, seine Phantasie anzuregen.
    Er konnte es von jeder Seite betrachten, was höchstens ermüdend war, aber nie zu einem Ende führte.
    Manchmal stellte er überrascht fest, dass er da etwas schon kannte, dass er am Ausgangspunkt gelandet war.
    Warum gerade er und nicht jemand anders, oder warum gerade dieses Bild, wenn doch so viele andere in Privatbesitz auch vor ihm

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