Parallelum - Der dunkle Beobachter (German Edition)
Es ist Claudio Pinto, ein kleiner, rundlicher Poliziotto und so etwas wie ein Onkel für mich. Er kommt mit seinem kleinen Notizbuch in der Hand auf mich zu. Ich bin noch nie so froh gewesen, ihn zu sehen. Endlich kann ich mich von Giovanni abwenden und mit den Lügen aufhören. Ich kann mich nun ganz meiner Arbeit widmen.
»Pinto! Gibt es was Neues?«, frage ich, als er mich erreicht hat.
»Ja. Wir haben das Opfer identifiziert«, antwortet er etwas außer Atem.
»Ach ja! Und wer ist sie?«
»Sie heißt Isabella Greci, 18 Jahre alt. Signor Antonio Valastro, der Besitzer der Pasticceria gegenüber der Straße, bemerkte die Absperrung und wollte sich erkundigen, was geschehen sei und wie lange die Straße noch gesperrt bleiben solle, weil seine Kunden die Pasticceria sonst nicht erreichen könnten. Er sah die Leiche und sagte, er kenne das Mädchen. Sie habe jedes Wochenende bei ihm gearbeitet – gestern auch. Die Eltern des Mädchens wurden auch schon benachrichtigt«, berichtet Pinto, und ich nicke.
»Hat Signor Valastro gestern irgendetwas bemerkt? Kam ihm etwas eigenartig vor? Hat sie sich anders benommen als sonst? Wirkte sie verängstigt?«, lasse ich eine Fragebatterie auf Pinto los.
»Das konnte er mir nicht beantworten, denn er hatte gestern Hochzeitstag und hat sich daher den ganzen Tag freigenommen, um mit seiner Frau zusammen zu sein. Aus diesem Grund hatte Isabella gestern in der Pasticceria gearbeitet. Er hat sie gar nicht gesehen.«
»Haben wir sonst noch Zeugen?«
»Nun ja, der Leichenstarre nach zu urteilen, wurde das Opfer gegen ein Uhr nachts getötet. Da waren sicherlich nicht mehr viele Leute auf der Straße, besonders nicht in einer solchen Seitenstraße, in der um diese Zeit nur geschlossene Geschäfte zu finden sind. Commissario Lovato möchte außerdem, dass du Signor Valastro befragst, um zu sehen, ob er die Wahrheit sagt. Vielleicht kann er auch noch Arbeitskollegen oder Exfreunde nennen, die als Täter infrage kommen könnten.«
»In Ordnung«, antworte ich.
Pinto nickt mir zu und geht in Richtung Pasticceria. Ich sehe noch, wie er die Pasticceria betritt, da wird mir schwindelig. Plötzlich blitzen Bilder vor meinen Augen auf: dunkle Haare, bleiche Haut, eisblaue Augen, ein besorgter Blick. Diese Bilder erschienen wie Fotos, die gerade geschossen werden. Ich öffne meine Augen und sehe mich um. Hinter der Polizeiabsperrung entdeckte ich den gleichen besorgten Gesichtsausdruck, der zuvor wie ein Foto in meinem Kopf entstanden ist. Ich laufe sofort in die Richtung des dunkelhaarigen Mannes. Er dreht sich zu mir und sieht mir direkt in die Augen. Ich bin perplex und weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Also lasse ich ihn nicht aus den Augen und renne in seine Richtung. Nach einem Augenblick, einem Blinzeln, ist er weg. Ich bleibe stehen und schaue mich um. Was soll das? Wer ist das? Etwa ein Zeuge? Oder der Täter?
»Hey! Was ist denn auf einmal los? Wohin willst du denn so schnell?«
Ich habe gar nicht bemerkt, dass mir Giovanni gefolgt ist. »Ähm, ich … ich dachte, ich hätte da jemanden gesehen«, antworte ich abwesend, während ich mich weiterhin umschaue. Es kann unmöglich sein, von einem kurzen Moment zum nächsten wie vom Erdboden verschluckt zu werden.
»Wen denn? Ich sehe nur Leute aus meinem und deinem Team. Kanntest du die Person?«, fragt er sichtlich verwirrt.
»Nein, ich glaube, nicht. Ich habe mir das wahrscheinlich nur eingebildet. Lass uns wieder an die Arbeit gehen!«
»Geht es dir wirklich gut?«, fragt Giovanni besorgt. Er legt seine rechte Hand auf meine Schulter und sieht mir tief in die Augen. »Du weißt doch, dass du mir alles sagen kannst«, fügt er dann hinzu.
Ich hasse es, ihn anzulügen, doch mir bleibt nichts anderes übrig. Würde er die Wahrheit erfahren, dann würde er mich sicherlich wieder zum Arzt bringen und mich nicht weiterarbeiten lassen. Das kann ich unmöglich zulassen. Irgendetwas an diesem Fall lässt mich nicht los. Ich weiß nicht, was es ist, und genau aus diesem Grund muss ich bleiben und es herausfinden.
»Ja, ich weiß, aber mir fehlt nichts. Mach dir keine Sorgen! Es ist alles in bester Ordnung.«
Eine weitere Lüge. In Wirklichkeit wird es immer schlimmer. Nun habe ich anscheinend auch noch Halluzinationen. Was ist nur los?
Kapitel 5
Der dunkelhaarige Mann geht mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich habe schon genug Sorgen. Es kommt mir jedoch so vor, als komme alle paar Stunden etwas Neues dazu, worum ich mich
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