Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme

Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme

Titel: Paranoia - Hoer Auf Ihre Stimme Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gregory Browne
Vom Netzwerk:
über alle Berge. Noch bevor die Nacht vorbei war, stand Solomon bis zu den Hüften im Wasser und rief nach Hilfe.
    Doch es kam keine.
    Drei Tage später war er noch immer dort, kauerte auf dem oberen Bett in seiner Zelle und stank nach seinen eigenen Exkrementen. Er überlebte einzig und allein durch Willensstärke. Sämtliche Kraft war aus seinem Körper gewichen, nur ab und zu rief er noch laut, in der Hoffnung, irgendjemand möge ihn hören.
    Endlich erschien vor dem vergitterten Fenster ein Gesicht. Ein etwa vierzehnjähriger Junge. »Alles klar, Mister?«
    »Abgesehen davon, dass ich wahnsinnigen Hunger habe, ist alles okay.«
    Der Junge grinste und sagte: »Moment.« Einen Augenblick später schlug er mit etwas Hartem gegen das Gitter, mit einem Brecheisen wahrscheinlich. Es dauerte ein Weilchen, doch er schaffte es, die Stäbe so weit auseinanderzubiegen, dass Solomon hindurchschlüpfen konnte. Dann zog er ihn in ein ramponiertes Ruderboot.
    »Hab einen Bus organisiert«, sagte der Junge und reichte Solomon ein Stück getrocknetes Rindfleisch. »Da drüben. Ich will nach Houston. Hab gehört, da nehmen sie Leute auf.«
    »Muss hier ja ziemlich schlecht aussehen, wenn wir nach Houston sollen.«
    »Schlecht ist gar kein Ausdruck, Mister. Wir sind echt gekniffen, aber keinen interessiert's auch nur die Bohne.«
    Solomon richtete sich auf und betrachtete die Umgebung, von der er durch das Gitterfenster nur einen Ausschnitt hatte sehen können. Zerstörung, so weit das Auge reichte. Die Stadt, in der er sein ganzes Leben verbracht hatte, war dem Erdboden gleich, ertränkt und verlassen. Leichen trieben im Wasser. Alte Leute. Junge Leute. Sogar Babys. Erst in dem Moment erkannte Solomon, wie viel Glück er gehabt hatte.
    Der Junge ruderte einen Fluss hinauf, der einmal eine Straße gewesen war. Er nahm noch ein paar Überlebende auf, Menschen, die so schwach und traumatisiert wirkten, wie sich Solomon fühlte. Doch alle waren froh, dass sie überlebt hatten. Der Junge steuerte auf ein Fleckchen Land zu, eine Straße, von Trümmern übersät. Dort stand ein alter Schulbus. Er brachte sie bis nach Houston.
    Manchmal merkte Solomon, dass der Junge ihn im Rückspiegel beobachtete. Als sie etwa die Hälfte der Strecke zurückgelegt hatten, kam ihm ein Gedanke – ein Gedanke, der in seinem Unterbewusstsein umherschwirrte, seitdem dieses Gesicht vor dem vergitterten Fenster aufgetaucht war.
    Der Junge sah fast genauso aus wie Henry. Oder besser gesagt so, wie Henry im Alter von vierzehn Jahren ausgesehen hätte. Solomon glaubte, Großvaters Stimme zu hören. Dein Bruder hat seine Sache gut gemacht. Er dachte immer wieder an diese Worte, während der Bus ihn sanft in den Schlaf schaukelte.
    Solomon kehrte nie nach Louisiana zurück.
    Die Bürokratie und die leeren Versprechungen der Regierung verzögerten den Wiederaufbau. Solomon hatte ohnehin keine Familie, zu der er hätte heimkehren können. Nachdem er Houston verlassen hatte, beschloss er, es sei Zeit für einen Neuanfang. Also kaufte er sich für die paar Dollar, die ein Sozialarbeiter ihm gegeben hatte, eine Fahrkarte für den Greyhound-Bus nach Ocean City in Kalifornien, eine Stadt, die teils Strandgemeinde, teils Schmelztiegel war.
    Eine Zeitlang arbeitete er als Tellerwäscher in Riley's House, einem kleinen Grillrestaurant nicht weit vom Meer. Doch als Riley den Laden abfackelte, um das Geld von der Versicherung zu kassieren, war es damit vorbei.
    Im Fernsehen erzählten lächelnde Millionäre wieder und wieder, wie gut die Aktien stünden, doch für Leute wie Solomon waren es harte Zeiten. Stepptanz auf den Deckeln von Wasserflaschen war längst nicht mehr gefragt. Nickels und Dimes musste man sich sauer verdienen. Es war schwer, einen Job zu finden, wenn man nichts Richtiges gelernt hatte. Schließlich reichte es nicht einmal mehr für die Miete für sein schäbiges kleines Zimmer.
    So landete er auf der Straße. Für eine Weile zog er von einem Unterschlupf zum nächsten, bis er sich schließlich in der Unterführung unten am Fluss niederließ, wo viele Obdachlose aus der Umgebung lebten.
    Und nun stand er da, wartete auf einen Teller mit Eiern, obwohl er eigentlich gar keinen Hunger hatte, dachte über die Frau nach, die nicht ganz Myra war, und fragte sich, wohin man sie wohl gebracht hatte.
    Er wusste, dass sie gefährlich war. Alle wussten das. Aber im Gegensatz zu Solomon wussten sie nicht, wie gefährlich.
    In seinem Kopf ertönte der dumpfe Schlag

Weitere Kostenlose Bücher