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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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Joel spricht ohne Punkt und Komma.
    »Und das Geld, ich würde sagen, vielleicht kannst du ja darauf verzichten. Hinzu kommt, deine neugewonnene Medienpräsenz könnte dazu führen, dass ein möglicher Prozess öffentlichausgetragen oder diskutiert wird und Dinge an die Öffentlichkeit gelangen, auf die du keinen Wert legst, dass sie an die Öffentlichkeit gelangen.«
    Da ist was dran. Ich überlege. Joel ist in Rage.
    »Verstehst du, was ich meine? Vielleicht strengen L & W auch eine Gegenklage an wegen Nichterfüllung vertraglicher Vereinbarungen und lassen ein wirklich amtliches psychologisches Gutachten erstellen. Und früher oder später werden sie ebenfalls von deiner Kundenabwerbung und dem Nowosibirsk-Job erfahren. Und – ich will’s ja nicht beschreien – aber ein paar Daten wirst du doch sicher auch mitgehen haben lassen. Ist ja ganz normal, verstehst du, was ich meine? Niemand hat eine so weiße Weste, dass er keine Angriffsfläche bietet, wenn jemand unbedingt und mit allen Mitteln etwas finden will! Weißte doch selbst. Und dann gibt’s eine Gegenklage, und das könnte sehr schnell siebenstellig werden.«
    Das ist ein überzeugendes Argument. Joel schafft es auf wundersame Weise, das Wort »Gegenklage« so auszusprechen, dass es wie Hämatom oder Gallenblasenkrebs klingt. Ich überlege. Spiele das Worst-Case-Szenario durch. Eingedenk des Umstands, momentan kein Cash auf meinem Konto zu haben und sofort meine Wohnungen zu verkaufen, sobald ich zurück bin.
    Joel probiert es erneut: »Wer weiß, was die noch in der Hinterhand haben – ob wahr oder unwahr –, unangenehm kann so ein Streit definitiv werden. Und ewig dauern.«
    Nach kurzem Schweigen fügt er noch an, in deutlich verlangsamtem Sprachfluss: »Gut gemeinter Rat unter Freunden, Connie: Pfeif auf deine Abfindung, pfeif auf das Geld.«
    Geld, Geld. Sogar, wenn’s nur um Geld geht, geht’s nie nur ums Geld. Ich überlege. Lutz, dieser verdammte Schlaumeier. Ich verliere den Faden, weil meine Aufmerksamkeit von einem diskreten Rutschgeräusch – eine Seifenpackung, die ich mitmeinem Hintern unabsichtlich in die Badewanne gestupst habe – abgelenkt wird.
    »Connie? Bist du noch dran?« Joel.
    »Ja, ja, bin ich«, sage ich mit aller verfügbaren Gelassenheit. Denkvorgang. »Sorry. Also gut. Ich glaube, du hast recht. Wir klagen nicht«, sage ich bestimmt, aber defensiv in den Hörer. So, als würde durch meinen Konfrontationsverzicht alles wieder ins Lot kommen. Ein notgedrungenes Friedensangebot, bevor es zu spät ist. Meine Stimme ist leise und rau. Ich beiße mir in die innere Unterlippe. Es blutet. Wie damals, als ich mit – ich weiß nicht, zwölf? – mit der Beißerei angefangen habe.
    Pater Cornelius hat immer gesagt, erst wenn du dich wirklich konkreten Problemen gegenübersiehst, lernst du, womit du zu leben im Stande bist. Diese beschissenen Weisheiten brachte er jedes Mal in seinem lächerlich feierlichen Ton vor, gespickt mit schaurigen sakralen Symbolen, und seine Worte begleitete er mit ausdrucksvollen, gruselig blauen Augen, so als wolle er seinen Ausführungen dadurch noch mehr Gewicht verleihen. Dabei taten seine Augenbrauen Dinge, die Augenbrauen nicht können sollten. Rechtwinklige Dreiecke bilden, elliptische Halbbögen formen, überaus teuflische Kurven darstellen.
    Christian machte seine Ansprachen – und die Augenbrauen – so gut nach, dass ich immer noch grinsen muss, wenn ich daran denke. Ich wünsche mir so sehr, Pater Cornelius wäre noch am Leben, damit ich ihm etwas antun könnte.
    »Gute Entscheidung, Connie. Manchmal ist ein Rückzieher das einzig Richtige. Check deine E-Mails und melde dich dann, in Ordnung?«
    In Ordnung.
    »Ach, Joel?«
    »Ja?«
    »Kannst du mir einen guten Immobilienmakler empfehlen, der auf den Verkauf von Stadtwohnungen spezialisiert ist?«
    »Was?«
    »Schon gut, vielleicht kannst du dich mal umhören.«
    Joel und ich beenden das Gespräch.
    14 Uhr 47. Stille tritt ein. In kontemplativer Versunkenheit fixiere ich die beiden flammenförmigen Milchglaslampen, die das weiße Badezimmer mit ihrem trüben, gelblichen Schein erleuchten. Im Augenblick kann ich nichts weiter tun, als darauf zu warten, dass ich nicht durchdrehe. Für einen kurzen Moment erfüllt mich eine Vision von halluzinogener Intensität. Ich fühle mich wie eine dieser Zeichentrickfiguren, die immer so lange durch die Luft weitergehen konnten, solange sie nicht wussten, dass unter ihnen ein Abgrund gähnte.
    Ein lustiges

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