Paranoia
unter anderem mich beinhaltet, und einer fettgedruckten wirtschaftspolitischen Spalte begutachte ich das Nacktbild einer Natasha Cole aus England, offizielle Berufsbezeichnung: Busenwunder. Aber verstehe ich da was falsch? Ein Wunder wäre es doch nur, wenn die Dinger echt wären, würde ich meinen. Ich falte das Blatt zusammen.
10 Uhr 01.
Ich bin immer noch ein bisschen angeschlagen, als ich wieder nach draußen gehe. Das ist die Untertreibung des Jahrtausends.
Meine Hände zittern.
Leute gibt’s!
48
Drei auf einmal habe ich mir eingeschmissen. Meine Hände zittern nicht mehr, als ich Fynn eine Dreiviertelstunde später durch die Windschutzscheibe an der Pforte des Heims stehen sehe. Insidon ist was Tolles. Die Übergabe vor zwanzig Minuten hat reibungslos geklappt. Ich liebe meinen Dealer-Doktor. Ich habe gleich zwei Großpackungen mehr als sonst gekauft. Gesamtwert zwölfhundert Euro, Schwarzmarktpreis. Mengenrabatt, Schnäppchen. ATTACKE!
Ein verwirrendes Gefühl von Omnipotenz beflügelt mich. Willkommen zurück!
Ich winke Fynn schon mal zu, er scheint es nicht zu sehen, reagiert nicht. Bin entweder noch zu weit entfernt oder die Scheibe reflektiert. Minus vier Grad Außentemperatur, so steht’s auf der Anzeige. Und ich hab noch Sommerreifen drauf. Ich müsste eigentlich … ja, wie denn wo denn was denn … wann hätte ich denn bitte schön … man kommt ja zu nichts. Ich trete aufs Gas. Die Red-Bull-Dose in der Hand, stelle ich noch schnell die Uhr von Sommer- auf Winterzeit um, wenigstens das, während ich lenke und telefoniere: »Also morgen, Mainz. Ist sowieso schon notiert. – Umso besser. Ja. – Ich werde vom Flughafen abgeholt? – Hmm. – Aber dann nur ZDF, oder? – Kann schon sein. Schätze übermorgen. – Aha. Sind Sie so nett und senden mir die genauen Daten aufs Handy? Ja? – Top, danke. Ich muss Schluss machen und melde mich später noch mal, in Ordnung? – Danke – ja – gut danke.« Ich nehme den Ear-Plug vom Kopf und verstaue ihn in der Mittelkonsole. Meine Freisprechanlage ist defekt. Das an der Strippe war die kesse Sekretärin von Joels Kollegen, der meine Medienauftritte koordiniert. Ich schätze sie auf die zweite Hälfte der Zwanziger, auf Anfang der zweiten Hälfte. Sie ist eine von den Leuten, die immer »aaahm« statt »ähm« sagen. Soaufgesetzt amerikanisiert, wie die es tun, die glauben, sie seien die Ausnahme von der Regel. Aber sie macht einen guten Job bislang. Ich habe sie noch nicht persönlich kennengelernt, weiß gar nicht, wie sie aussieht. Dagmar. So ihr kompletter Name, wie sich das für eine Sekretärin gehört. Daggi. Joel meinte, dass auf Grund ihrer riesigen Titten berechtigte Zweifel bestünden, ob sie ihren Lebensunterhalt ausschließlich mit Sekretariat verdient. Bei dem Gedanken merke ich, dass ich mir Daggi seit vorhin optisch genau wie Natasha Cole aus England vorstelle.
Da wären wir. Ich fahre rechts ran, bremse. Halte genau vor Fynn. Mein Handy piepst, eingehende SMS. Uh, ist die schnell, die Daggiemaus. Wun-der-bar! Ich drücke schnell drauf, damit das Piepsen aufhört und Fynn, der gerade einsteigt, das Geräusch nicht mitbekommt.
Er schließt behutsam die Tür. Ich gebe ihm einen Kuss (trockener Schmatz) auf die Wange, während ich ihn umarme. Das kann er eigentlich nicht ab (8 Jahre = Mann), das wage ich auch nur zu ganz speziellen Anlässen (längere Abstinenz). Aber heute lässt er meinen Überfall unkommentiert (kein »Niiiiiicht!«) und ohne angeekelte Mimik (sterbender und kotzender Schwan) über sich ergehen.
Auf meine Frage, wie’s ihm geht, zögert er gerade so lange, dass es mich beunruhigt. Ich bemerke ein ängstliches Flattern in meiner Brust. Er macht mir nichts vor, ich spüre seine Kümmernisse.
»Alles okay«, lautet die Antwort, und ihm ist anzumerken, dass er mit sich ringt. Ich hake nicht nach. Das wäre sinnlos. Dann setzt er sich auf und ist mit einem Mal ganz aufgeregt und beginnt, mich auszufragen, während die Fassade des Heims in meinem Rückspiegel rasch kleiner wird.
Mittlerweile geübt in der Schilderung, habe ich alle Sätze und Schlüsselwörter parat und erzähle ihm von dem Flugzeugunglückund meiner anschließenden Odyssee. Längst kann ich mich selbst kaum mehr an den Unterschied zwischen Tatsache und Auslegung erinnern. Fynn ist ganz aufgedreht, fragt ständig »und was ist dann passiert?« und hört mir beinahe ein wenig huldvoll zu. Vielleicht bilde ich mir das auch nur ein, aber Medienpräsenz
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