Paranoia
Tierversuche, über (2) die Abartigkeit von Dressurreiten und Reiten an und für sich, über (3) die unsagbar schweren Glocken, die man Kühen umbindet, welche ihren Hals, ihren Nacken, ihre Ohren und Nerven qualvoll in Mitleidenschaft ziehen, über (4) das Halten von Wellensittichen, Hamstern, Hasen oder Papageien in Käfigen in der Wohnung, arme Gefangene, über (5) Menschen, die so dumm und gefühllos sind, Tiere von Züchtern oder Zoohandlungen zu kaufen, anstatt sie aus dem Tierheim zu holen, (6) Züchter, die unter dem grotesken Vorwand der Tierliebe, Muttertiere als Brutmaschinen missbrauchen, um ein paar dreckige Euro zu verdienen, und und und. Da kommt ihm so eine Pelztussi gerade gelegen. Ihm, der seine zweiten Zähne noch gar nicht alle draußen hat. Ja, ich liebe ihn. Es ist wahr: Je höher ein Wesen geistig entwickelt ist, desto sensibler geht es mit Schwächeren um.
»Komm jetzt«, sage ich geduldig ungeduldig.
Wir treffen die beiden Journalisten in der Lobby gegenüber der Rezeption. Ich blicke in ein kantiges, kluges Fünfzigjährigen Gesicht, dessen zweite Zähne schon längst draußen sind. Herr Meier – merken. Seine Augen mustern mich durch eine Designerbrille. Fettige Nase. Nicht fett, fettig. Händeschütteln, und dasselbe noch einmal mit seinem zähnezeigenden Kollegen. Herr Meyer, oh – auch merken. Der präsentiert mir dieses halb geheimnisvolle, halb abweisende Lächeln, in dem Pressemenschen so gut sind. Meier und Meyer. Macht die Sache unnötig kompliziert, überschlage ich geistesabwesend. Und dann denke ich mir, macht die Sache ja viel einfacher. Und dann denke ich mir: scheißegal. Es folgt ein Scherz von Meier über die Namensgleichheit und die orthographischeAbweichung. Das überhöre ich. Wir setzen uns in Bewegung. Ich frage, ob Fynns Anwesenheit in Ordnung ginge. Man kann ja nie wissen. Geht klar.
Vor dem Lift marschiert Alfons Schuhbeck, seines Zeichens Promi- und TV-Koch, an uns vorbei zum Ausgang. In weißer Kochjacke, schwarzer Anzughose und schicken dunklen Halbschuhen. Profi eben. Die ganze Stadt ist gerade mit seinem werbenden Konterfei plakatiert. Er sieht so in natura ganz gut aus, übereinstimmend. Ein bisschen müde vielleicht, eher erschöpft. Er nickt Meier und Meyer verabschiedend zu und verzieht keine Miene. Markenzeichen. Aber eigentlich gehört ihnen sein Nicken nicht ganz allein – es gehört uns allen, die wir die Lobby bevölkern. So sind sie, die Stars. Meier teilt mir erklärend mit, sie hätten gerade ein Interview mit ihm geführt. Ah ja. Schön. Fynn schaut Schuhbeck hinterher und tritt dabei von einem Fuß auf den anderen. Celebrity watch. Und immerhin trägt er keinen Pelz. Sein Glück.
Eine Suite im ersten Stock. Nicht besonders groß, eher besonders klein. Die ziemlich hellblaue Suite, die sie immer für Interviews buchen, bei denen auch fotografiert oder gefilmt wird. Wallende weiße Übervorhänge, die fallen beim ersten Eindruck am meisten auf. Geplant ist ein großer Bericht (Titelstory SPIEGEL 48/2011, höchstwahrscheinlich) über das Flugzeugattentat, und ich kriege darin ein Feature. Inklusive Foto. Hoffentlich taugen die Bilder wenigstens was. Die Öffentlichkeit kennt mich bislang nur von schrecklichen Aufnahmen. Das ist gar nicht so leicht zu ertragen. Man macht mich mit dem Fotografen bekannt, der schon im Zimmer ist und an der Beleuchtung bastelt. Der Knipser (nicht Meier, Meyer, Maier, Mayer oder so was, sondern »nur« Kai) ist ein großer Typ, dessen körperliche Proportionen sich so zueinander verhalten, dass er klein und gedrungen wirkt. C-Mensch. Ich gebe dem riesigen Zwerg die Hand. Der Gedanke an dieFotos veranlasst mich, mein Jackett zurechtzurücken und zu schauen, ob mein Hosenschlitz zu ist. Meier ergreift das Wort und wird auch als Einziger das ganze Gespräch führen. Er faltet in gutmenschlicher Art die Hände und kommt gleich zur Sache. In meinem Kopf ertönt ein durchdringender Ton. Eine Stimme. Nicht jetzt, bitte nicht jetzt. Christian echt, hau ab, bitte.
Ich fühle die altbekannte Angst in mir hochsteigen und wehre mich dagegen, indem ich für den Bruchteil einer Sekunde die Augen schließe und die Lider mit den Fingern zudrücke. Ich darf mich jetzt nicht gehenlassen. Nicht jetzt. Keine innere Dunkelheit. Jetzt ist gerade schlecht. Muss mich zusammenreißen. Ich atme ein paar Mal tief durch. Gleich darauf lege ich servil die Handflächen aneinander, wie zur imaginären Fürbitte um Ruhe, wie zu einem Tauschhandel
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