Paranoia
mit meiner Innenwelt: Demut gegen Frieden.
SPIEGEL: »Wir machen zunächst einen Faktencheck und dann das Interview. Einfach locker sein.«
Ich werde mir Mühe geben. Moment! Macht der Witze? Wieso diese Bemerkung? Wirke ich nervös? Gibt meine Gestik etwas preis?
Die Spiegelmänner und ich sitzen uns in breiten, hellblauen Sesseln gegenüber. Was ich ihnen im Folgenden gebe, ist eine meinem Gefühl nach ziemlich genaue Zusammenfassung der Ereignisse. Das vorhin noch eben heimlich eingeschmissene Insidon hat es in sich. Der servierte Mokka auch.
Beide verfehlen ihre gegensätzliche Wirkung nicht.
Fynn hört still und aufmerksam zu und spielt unablässig mit seinen Fingern, zieht und knetet an ihnen, als wolle er sie in eine andere Form bringen. Mein zwischenzeitliches Zuzwinkern quittiert er mit einem unverändert ernsten Blick, als würde er durch eine aufwendigere Mimik Gefahr laufen, das Gespräch zu stören.
Und dreißig Minuten später war’s das auch schon. Das war’s? Meier sieht mich so lange an, dass ich Angst bekomme, ich hätte was Falsches gesagt. Dass ich schuldbewusst dreinblicke, kann ich nicht verhindern.
SPIEGEL: »Eine letzte Frage noch, wenn Sie erlauben?«
Dr. CONRAD PENG: »Ja bitte?«
SPIEGEL: »Woher kommt eigentlich Ihr ungewöhnlicher Nachname, Herr Dr. Peng?« Meier kratzt sich mit einem Finger die Innenfläche der Hand, ganz langsam. Man entgeht dieser Frage nicht. Obwohl ich sie zum hunderttausendsten Mal höre, tue ich erschreckend aufrichtig so, als hörte ich sie heute zum allerallerallerersten Mal.
Draußen hat es aufgehört zu schneeregnen. Zumindest vorläufig.
Fynn sitzt immer noch brav in der Ecke, unverändert, als würde er nicht mal atmen. Der Fotograf tänzelt dezent um uns herum und knipst mich ab und an.
Na, dann wollen wir mal. Und ich erzähle, wie das so war mit meinem Namen. Wie ich mit fünf adoptiert wurde, »von Günther und Helga Spengler. Er war Versicherungskaufmann, sie Hausfrau. Im Einzelnen kann ich mich gar nicht mehr so genau dieser Phase meiner Kindheit entsinnen, aber ich mochte es bei ihnen. Ich mochte es dort, und ich habe ihr kleines Reihenhaus immer noch bildlich vor mir. Am Stadtrand. Ich war, glaube ich, ein ziemlich braver Junge«, ich schiebe ein Lächeln ein, »eher unauffällig. – Das erwähne ich, weil, … mit acht gaben sie mich wieder zurück. Völlig unvermittelt. Einfach so. Ich weiß bis heute nicht, warum. Sie fuhren mit mir zum Amt, hier habe ich nur noch bruchstückhafte Erinnerungsfetzen, die letzte Autofahrt in ihrem Ford, als sie mich wieder zurückbrachten. Nein, das hat nur er gemacht, sie blieb daheim, wir saßen zu zweit im Wagen, das weiß ich noch. Koffer aus dem Auto wuchten, Übergabe an irgendeinen Fürsorgetypenvon der Vormundschaftsbehörde und eine Schwester, glaube ich,
Alles Gute,
nicht mal ein Abschiedskuss, geschweige denn erläuternde Worte. Ich meine:
Alles Gute,
was … also – ich meine … – also wenn ich daran denke, dann ist Hass schon das richtige Wort.«
Der Journalist, dessen Namen mir jetzt auf einmal einfach nicht mehr einfallen will, sieht mich mit großen Augen an. Der andere auch. Und der Fotograf, der eben noch verdrießlich in unserem Dunstkreis herumschlich und leise bereits zwei Lampen abbaute, wird stocksteif, seine Bewegungen frieren ein. Ich sehe noch, wie Überraschung auf seinem Gesicht einem belustigten Ausdruck weicht, den er sich sofort verbietet. Für einen Moment tiefe Stille. Nur das Atemanhalten ist zu hören. Meier (jetzt weiß ich wieder) sieht Meyer mit höchster Anstrengung
nicht
komplizenhaft an. Also sieht er ihn vorsichtshalber überhaupt nicht an. Sondern mich und verkneift sich zusätzlich auch noch den Ich-glaube-unser-Gast-hier-ist- gerade-dabei-den-Verstand-zu-verlieren-und-uns-eine-zusätzliche-Story-zu-liefern-Blick. Ein einziges Verbergen. Verflixt anstrengend für ihn, kann ich mir vorstellen. Der andere Meyer kratzt sich am Kopf, er hat mit denselben Problemen zu kämpfen wie die anderen beiden. All das entgeht mir nicht, aber ich lasse mir nichts anmerken. Sie wissen, dass Schweigen das Klügste ist und ich so von allein weiterreden werde. Ja, und dieser obszöne Erinnerungsfaden glüht regelrecht in mir. Er brennt! Und ich spüre Wut in mir aufsteigen, auf mich selbst, weil ich unaufgefordert eine Geschichte erzählen möchte,
möchte,
als würde ich eine Gelegenheit beim Schopf packen. Eine Riesendummheit. Irrtum ausgeschlossen! Aber die Dämme meiner
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