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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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ordentlicher Eindruck. Ich überlege, ob ich womöglich gefilmt werden könnte, verwerfe das – Kameras auf einer Toilette? Das hier ist schließlich kein Flugzeug – und stecke die Brieftasche ein. Nichts wie weg. Kabinentür auf. Ausgelöst durch einen Bewegungsmelder machen sämtliche Abflüsse ein grässliches Schlürfgeräusch.
    Blick in den Spiegel, Händewaschen, durch die Haare fahren,Suchblick nach einer versteckten Kamera werfen (nix, negativ, im Sinne von positiv), Papierhandtücher entnehmen, kurz pfeifen, dabei Krawatte zurecht ziehen, Griff an die Jakettinnentasche, ob mein Diebesgut noch da ist, sich das Knie an der Türkante anhauen, Gesicht vor Schmerz verzerren, leise fluchen. In dieser Reihenfolge.
    Beim Verlassen des
Vier Jahreszeiten
streicht Fynn und mir die kalte Luft schlagartig über die Gesichtshaut. An einer Säule der Auffahrt, unter dem Vordach, steht ein Aschenbecher mit gelbem Sand drin. Im Sand stecken drei Bonbonpapiere. Es ist nicht mal zwei Uhr. Wir nehmen den kürzesten Weg zum Wagen. Er steht noch auf dem letzten Platz des Taxiwartestreifens. Zwei Strafzettel. Zwei! Nicht abgeschleppt! Ha-haaah! Gewonnen! Fynn steigt ein. Verstohlen gehe ich um das Auto herum, als würde ich etwas Bestimmtes wollen, öffne die Hecklucke und lasse das Fundstück-Portemonnaie unauffällig unter die Kofferraum-Auslegematte gleiten, nachdem ich einen Blick auf die American Express-Karte geworfen habe. Es mag am Promistatus ihres Besitzers liegen, aber ich nehme mir tatsächlich vor, die Brieftasche samt vollständigem Inhalt morgen per Post anonym an Alfons Schuhbeck zurückzuschicken.

50
    In der Schlange an der ersten Ampel kann ich die Bassboxen des Wagens hinter uns hören.
    Was für eine Zeitverschwendung das Interview gerade eben war. Und ich, wie ich mich verhalten habe. Wie originell. Von wegen. Westentaschen-Medienrambo. Oberbeschissen.
    Etwas später parken wir mit der Hälfte des Wagens vor einer Feuerwehrzufahrt, ist ja sonst nichts frei, müssen sie imBrandfall eben etwas manövrieren mit ihren Löschfahrzeugen, und gehen Richtung Kino. Auf dem Weg dorthin unterhalten Fynn und ich uns über ein paar Filme und deren Darsteller, kommen auf einen Hollywood-Mimen zu sprechen, der kürzlich Selbstmord begangen hat und momentan als heißer Kandidat für einen Oscar gehandelt wird. Dabei stellen wir fest, wie vollkommen rausgeschmissen die Oscar-Preisvergabe an einen bereits verstorbenen Schauspieler eigentlich ist. Postum, in Memoriam. Das bringt doch nichts. Da kann man die Statue ja gleich in den Mülleimer schmeißen.
    Wegen meines fortwährenden Bildungsauftrag-Bedürfnisses Fynn gegenüber lasse ich ihn wissen, dass das eingekreiste R hinter dem OSCAR ® -Logo übrigens
registered trademark
bedeutet, das besagt, dass es sich hierbei um eine geschützte Marke handelt. Und während er das nur mäßig interessiert registriert und ich mich frage, wer eigentlich das Copyright auf das Copyright-Symbol besitzt, begegnen wir einer kleinen Demo. Sprechchöre, Stimmfetzen, Pfeifentrillern. Das ganze Trara. Vielleicht hundert Aktivisten ziehen die Straße herauf, kommen uns entgegen. Aber man hat den Eindruck, mehr flankierende Polizisten als Demonstranten zu sehen.
    Die Prozession bewegt sich stetig auf uns zu. Und wir uns auf sie. Lauter aufgebrachte Leutchen. Doppelt trostlos, bei diesem grauen, regnerischen Wetter. Ihr Anliegen bei Minus vier Grad den Bannern, Plakaten, Spruchbändern und hochgehaltenen Pappschildern nach: irgendwas mit Tibet. Tibet! Hört, hört. Ein aufgekratzter Schreihals skandiert vornehmlich Sätze mit dem Wort
Freiheit
. Die restlichen Begriffe purzeln dabei munter durcheinander. Ein anderer hat rot
Autonomie
auf seine Stirn geschrieben.
    Sich für weit entfernte Dinge einsetzen, damit man sich die Hände nicht schmutzig machen muss, aber sich doch schön reinsteigern kann. Die
Idee
von Anteilnahme zelebrieren. Parole:Beschäftigungstherapie – sich mal einen Nachmittag total echauffieren. Böse Welt. Nichts als ein Egotrip. Diese Sorte Mensch bricht in Tränen aus, wenn im Hindukusch eine putzige Kakerlake stirbt, zieht aber zu Hause gegen den eigenen Bruder vor Gericht wegen achthundert Euro Erbschaftsstreitigkeiten.
    Heute also eben mal Tibet, einschließlich Solidaritätsbekundung gegenüber Grinse-Klugscheißer Dalai Lama. Morgen China (Fahrrad umgefallen). Hauptsache weit weg. Denn im Krisengebiet selbst würde jede einzelne dieser Schießbudenfiguren

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