Paranoia
den Blick. Denke mir, er hat heute einen zum Niederknien perfekten Pratt-Shelby-Krawattenknoten gebunden. Passt gut zu dem gestreiften Hemd.
»Wie lief ’s letzte Woche bei A. L. I.?«, fragt er sardonisch. Wie vor Gericht. Jetzt fange ich an zu fürchten, dass wirklich etwas Schwerwiegendes hinter seinem Tonfall steckt. Ich nicke ihm positiv zu. Gegen meine laufende Nase unternehme ich nichts. Kein Taschentuch, kein Nasehochziehen. Zur Ersatzbefriedigung stelle ich mir das knarrende Geräusch vor, wenn man den Schleim durch die Nase ansaugt. Was stimmt hier nicht?
»Gut, dann wären wir ja schon mitten im Thema.« Er atmet einmal auffallend durch. Freie Nase. Der Glückliche. Er fährt fort: »Sie sind mit Ben Kerschenbaum als zugeteiltem leitenden Analysten und ausführenden Teamleiter geflogen, richtig?« Wie ein Rapport. Ich antworte ja.
Robert Lutz fragt weiter: »Mir ist zugetragen worden, dass Sie dennoch ganz allein bei dem Meeting aufgetaucht sind.« Wie ein Tribunal.
»Das ist richtig. Ben Kerschenbaum hatte eine Erkältung mit starken Fieberschüben, und wir entschieden, es wäre vorteilhafter, auf seine Anwesenheit zu verzichten.«
»Gut.« Lutz macht eine kurze Pause. »Ich bin erst gestern Nacht aus Singapur zurückgekommen und kann mich daher erst heute um die Sache kümmern, aber ich wollte sie dennoch zunächst noch persönlich mit Ihnen besprechen, mir erst noch Ihren Standpunkt anhören. Trotz höchstem Handlungsbedarf. – Dieses Fiasko!« Er wirft den Kopf zurück, als verlöre er schon langsam die Geduld mit mir. Ich ziehe die Augenbrauen hoch. Ich schätze, er beliebt zu scherzen, ohne die Spur eines Lächelns.
»Conrad, unmittelbar nach Ihrem Meeting ließ mich der geschäftsführende Vorsitzende von A. L. I. wissen, was geschehen ist. Er hat mir auf die Mailbox gesprochen und mir mehrfach gemailt. Er ist rasend, und das kann ich verstehen. Sie auch, nehme ich an?« Er schaut mir direkt in die Augen und ich ihm. Er fährt fort: »Ich wollte also erst noch Ihre Meinung hören, bevor ich …«
Was? Bevor was? Um was geht’s hier eigentlich? Mir fällt auf, dass ich vor lauter Erstaunen und erwartungsgepeitschter Erregung seit vollen zwanzig Sekunden den Mund nicht zubekomme. Ich schließe ihn.
»Auf jeden Fall liegt mir seit Freitagmorgen auch noch das Gesprächsprotokoll vor.« Er schiebt mir irgendeine ausgedruckte E-Mail zu, also sehe ich sie mir an. Aber ich überfliege das Blatt nur und nehme den Inhalt kaum wahr. Deshalb sage ich, dass ich ihm doch meinen Zwischenbericht dieses Meetings ebenfalls unmittelbar im Anschluss zugemailt habe. Wo ist das Problem?
Nun lächelt er mich derart geduldig an, als wäre ich ein wenig schwer von Begriff. Er ist geladen wie ein Maschinengewehr.
Dieses zweischneidige Verhalten ist beängstigend.
»Ja, das haben Sie. Da ist auch alles
wundersam
in Ordnung. Ich habe hier allerdings … nun, ich bekam etwas anderes vom Vorstandsbüro mitgeteilt, als Sie mir berichtet haben –, nämlich, dass Sie sich …« Die Adern an seinem Hals treten deutlich hervor. »… dass Sie sich
despektierlich und schwer nachvollziehbar,
hier steht
wirr,
über unsere Leistungen und Angebote geäußert haben sollen.« Er klingt wie kurz vor dem Ausbruch. Ich sehe ihn an, wie man schaut, wenn man etwas gar nicht erwartet hat. Rücke mich zurecht und falte die Hände zu einer Zeltdachspitze.
»Was, was meinen Sie genau, Robert?«
»Nun, hier steht …« Es entsteht eine Pause, er setzt sich vor seinen Mac und zischt zwischen seinen Zähnen hervor: »Hier steht:
Als Herr Dr. Peng mit seinem ca. zwanzigminütigen Vortrag endete, begann er aus unersichtlichen Gründen in herablassendem und streckenweise aggressivem Tonfall auf Zwischenfragen unserer anwesenden Vertreter zu antworten
. Können Sie damit was anfangen, Conrad?«
Ich weiß nicht, wovon er redet. Weiß ich wirklich nicht.
»Es geht noch weiter. Darf ich?«, sagt er irgendwie zynisch.
Es lohnt nicht, darauf zu antworten.
Er liest weiter vor: »Also:
In Absprache mit sämtlichen
undsoweiter
, bitten wir, in beiderseitigem Interesse um schnellstmögliche Aufklärung, mit freundlichen
und so weiter, ach wo steht es denn. – Das wollte ich jetzt gar nicht. – Moment.«
Er sucht in den Zeilen, nimmt seine randlose Brille ab, um sie mit einem Tüchlein zu reinigen, wohl um sich zu beruhigen, was misslingt, er wirft das Tüchlein beiseite und fährt brüsk fort: »Hier! – Haben Sie zu Dr. Stevenson
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