Paranoia
ich frage mich, ob er das schon immer tut oder es sich um eine Folge des Ereignisses handelt. T-T-T-T-T-T-Trancezustand. Sch-Sch-Sch-ock-k-be-be-be-dingt. In seinem Gehörgang klebt angetrocknetes Blut.
Ich bin überdreht. Ich habe nur eine vage Ahnung, was im Flugzeug vor sich gegangen sein muss. Ein undeutliches Gefühl, in eine sonderbare Katastrophe verwickelt gewesen zu sein, über der die Unwirklichkeit einer dicken Nebelschicht liegt.
Ich stecke tief in der Scheiße.
Immer wenn Ben mich ansieht, drücken sich in seinem Gesicht Besorgnis und eine seltsame Distanziertheit zu mir aus.
Jemand nimmt mich bei der Hand und führt mich zu einer Trage. Man misst mir Puls, Herzschlag, Blutdruck, stellt einfach zu beantwortende Fragen über mein Wohlbefinden, untersucht meine Haut, prüft meine Reflexe, und ich sehe dabei zu, wie an Ben genau dasselbe zur selben Zeit, mir nur wenige Meter gegenüber, gemacht wird. Ich ahne, unseren Anschlussflug morgen früh können wir vergessen. Es ist zwei Stunden nach Mitternacht.
Die anderen Gates, die ich von hier aus sehen kann, sind menschenleer. Auf einer Anzeigentafel steht ganz oben der Flug, der morgen – also heute, also ziemlich bald – als Erstesstartet, um Punkt sechs Uhr, nach Irkutsk, was wie ein Schreibfehler aussieht.
Man wird sich morgen noch mal medizinisch mit mir befassen, erfahre ich von einer Ärztin (C).
Benötige ich psychologische Betreuung? Soll jemand nach mir sehen? Ich antworte »No thank you, I’m alright. Really.« Ich werde mich hüten. Was ich benötige, ist ein neues Outfit. Du entsteigst einem Wrack, du siehst aus wie nach einem Maulwurf-Contest. Verdreckte Kleidung, verschmiert, verkrumpelt. Du warst wohl Teil einer Katastrophe. Und im Anschluss geht alles normal weiter. Was auch sonst. Es ist so wie: Wir gingen gerade durch die Hölle. Mehr aber auch nicht.
Ben und ich warten noch zwanzig Minuten, ohne zu wissen worauf, und sehen zu. Man wird uns schon mitteilen, was mit uns passiert. Immer wenn ich in Bens Richtung blicke, ertappe ich ihn, wie er mich forschend und ungläubig anstarrt.
Ich mache Ben auf eine alte Hexe aufmerksam. Graue Haare mit schlierig gelben Strähnen, Runzelmund. Sie sitzt ermattet auf einem Stuhl und starrt vor sich hin. Ihr Gesicht zeigt keinerlei Regung. Der Trubel erzeugt nicht den kleinsten Ausschlag auf ihrem Antlitz. Statt ihrer Augenbrauen hat sie zwei überraschte Bögen aufgemalt. Es lässt ihr Gesicht aussehen wie das eines dauerverwunderten Clowns. Und in diesem Zusammenhang wirkt ihre regungslose Erscheinung wie aus einem sorgsam inszenierten Sketch. Als nach einer Weile ein Sanitäter mit Hasenscharte ihr vorsichtig auf die Schulter tippt, fährt sie zusammen, als sei ihr in den Rücken geschossen worden, springt auf und läuft davon. Tippelt hektisch, stolpert beinah, fängt sich, rennt einfach weg, raus aus der Halle. Bizarr. Ich sehe Ben an. Tolles Rahmenprogramm. Wir schmunzeln. So ein Lächeln aus letzten Kräften heraus.
Aber ich finde das auch nach einigen Minuten noch unerwartet witzig. Ich weiß auch nicht.
Zu unserer Verwunderung werden wir nach weiteren fünf Minuten Wartezeit durchsucht, und ein Security-Mann überstreicht mich einmal mehr mit einem Metalldetektor.
Ich schlendere auf einem Parcours von vielleicht fünf Quadratmetern herum, wo ich niemandem im Weg stehe. Eigentlich gehe ich eher nervös im Kreis hin und her, die Arme auf dem Rücken verschränkt, wie in einem imaginären Käfig. Ich versuche mich zur Ruhe zu zwingen. Inzwischen liegt eine Aura der Erschöpfung über der Halle. Als ich wieder mal zu Ben sehe, ob er mich immer noch anstarrt, winkt er mir genau in dem Moment zu, in dem mein Blick ihn trifft und seinen Ruf im Mund abfängt, bevor er ihm über die Lippen kommt. Und ich galoppiere ihm humpelnd hinterher und hole ihn ein. Wir beide folgen einer lebenden Uniform. Zu guter Letzt drehe ich mich noch einmal um, bevor wir das Gate verlassen und schaue auf die Verletzten und das ganze Versehrtenlager. Was für ein niederschmetternder Anblick! Hinter einer Glaswand sehe ich eine Reporterschar auf einen armen Kerl der Presseabteilung (wahrscheinlich) des Flughafens einreden. Vor und über ihm ein Wald aus Mikrofonen. Das Stimmengewirr hebt und senkt sich über dem Surren der Kameras. Blitzlichter flackern in ihrem eigenen Rhythmus.
Unser Beamter, der im Gehen Bens und meine Personalien auf seiner Liste mit unseren Angaben abgleicht, dirigiert uns den ziemlich weiten
Weitere Kostenlose Bücher