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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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Stirnrunzeln neige, tue ich ebendies und sehe mich ausgiebig um. Wenige Tische sind besetzt. Auf allen steht ein identischer bunter Strauß Schnittblumen. Überrascht, dass mich der Herr kennt, der mit seiner Frau nahe am offenen Kamin sitzt und mich winkend zu seinem Tisch ruft, gehe ich schnurstracks auf ihn zu. Könnte jemandaus dem Flugzeug sein, dessen Gesicht ich vor lauter Trubel vergessen habe. Noch ehe ich etwas zur Begrüßung sagen kann und mein fragendes, aber offenes Gesicht aufsetze, ruft er mir »Some more coffee, please« zu und zeigt halbherzig auf eine versilberte Thermoskanne. Ich bleibe abrupt stehen und schließe die Augen, bis das Verlangen nachlässt, ihm eine reinzuhauen. Hält mich dieser britische Commonwealth Lackaffe doch glatt für einen Kellner. Ich entgegne, mit zur Seite geneigtem Kopf: »Yes, Sir, coming.«
    Dann gehe ich zu einem weiter entfernten, freien Tisch, setze mich demonstrativ hin, ignoriere dabei den englischen Schwachmaten mit seinen weit auseinanderstehenden Augen (D-Mensch), nehme gleichzeitig zur Kenntnis, dass mein Tisch wackelt, muss das vorerst aus Coolnessgründen jedoch ebenfalls ignorieren und nehme die nächsten zwanzig Minuten zur Stärkung ein Cholesterin-Special ein. Zwei fetttriefende Eier, Speckscheiben auf Schinken, Pommes und eine sorgsam drapierte Petersilienranke.
    Die ganze Zeit über feixt und johlt eine Formation ausgelassener Touristen an einem Tisch zwei Reihen weiter. Vandalen. Immer wieder sehe ich hin, wenn eine besonders laute Lachsalve herüberweht. Was ist so komisch? Ein altes Problem von mir. Ich kann keine Gruppe mit lachenden Leuten sehen, ohne dies gleich auf mich zu beziehen. Ich muss immer prüfen, ob sie über mich lachen.
    Sie interessieren sich keinen Deut für mich.
    Ich warte auf das nächste Freudengeheul der Windstärke 10. Diese Possenreißer sind völlig aus dem Häuschen. Sie johlen mit einer Art von Begeisterung, wie ich sie in meinem ganzen Leben noch für nichts aufgebracht habe. Ein Häufchen Verlierer. Mit Motiv-T-Shirts, bunten Socken und Proletarier-Hüftrettungsringen. F-Menschen. Aber bitte. Muss es ja auch geben.
    Ich ordere noch zwei gekochte Eier mit russischem Senf und Schinken. Ein Bissen von der dunklen Blutwurst, oder was das ist, liegt wie eine zweite Zunge in meinem Mund. So schweres Essen wirkt bei mir wie eine Schlaftablette. Hinzu kommt der Knoblauch, der meinen Kreislauf zusätzlich noch runterschraubt und mich so richtig müde macht. Und das am Morgen. Ich bin so unvernünftig. Gute Nachricht: Hier gibt’s Red Bull. Ich bestelle also genau das bei einem Ober, der wirklich ähnlich wie ich gekleidet ist, kille gleich mal eine Dose und zerdrücke das Blechding, während ich es mir ins Glas schütte. Das mache ich nur mit Red-Bull-Dosen. Die sind besonders weich. Ob Red Bull, so wie Coca Cola, auch seine Formel in überholt romantischer Manier vor der Konkurrenz geheim hält?
    Zum Abschluss genehmige ich mir noch eine kleine große Auswahl an Mehlspeisen, die ich mir vom Büfett geholt habe. Das können die Russen. Ostblock generell. Bin pappsatt. Schaue etwas umher, als ich mir das letzte Stück einer Quarkschnitte in den Mund schiebe. Der Engländer hat den Saal bereits verlassen. Jetzt noch ein Abschlusskäffchen. Nach der Bestellung nehme ich mir eine Papierserviette und tauche kurz unter den Tisch, weil es mir mit dem Gewackel endgültig langt.
    Ben steht vor mir, als ich meinen Kopf von unter der Platte wieder über die Tischkante hebe. Seine Augen haben mich noch nie so fremd angeblickt, und auch der mitfühlend resignierte Zug um den Mund ist mir neu.
    »Morgen! Aah!« Ich stöhne und richte mich ganz auf. »Wie viele Servietten ich auch an ausgewählt strategischen Punkten unterschiebe, das Ding wackelt«, sage ich bewusst wie ein zerstreuter Professor, um dem Moment das Absurde zu nehmen, und rüttle testweise am Tisch, wie um die Aussichtslosigkeit des Unterfangens zu belegen. »Das wird nichts.«
    »Ja, sieht so aus! Guten Morgen. Du hast bereits gefrühstückt? Seit wann bist du denn schon wach?«, fragt Ben, attraktiv wie immer, trotz der dunklen Schatten unter den Augen, mit noch nassen Haaren, das gleiche Hemd wie ich am Leib.
    »Frag nicht!«
    »Nicht gut geschlafen, was?«
    »Frag nicht, und du?«
    Er brummt eine beipflichtende Antwort, die eine zusätzliche weitreichendere Bedeutung hat, und setzt sich mir gegenüber.
    Wir stützen in einer Imitation des anderen beide die verschränkten

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