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Paranoia

Paranoia

Titel: Paranoia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Felder
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eine Nebenbemerkung. Ich, keine Reaktion. Fünf, sechs, sieben Sekunden lang.
    »Verzeihung. Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«
    Könnte ich das doch nur glauben. Schön langsam sehne ich mich nach Hilfe, werde weich. Aber ich antworte mit kräftiger Stimme und ironischer Betonung: »Ich bevorzuge persönliche Fragen.«
    »Ich bin bloß neugierig.«
    Ich nicke, schon gut, nur zu.
    »Meine Theorie dieser Geschichte lautet, um es vorsichtig auszudrücken: Sie haben also versucht, ähm, sagen wir mal, Ihrem Leben ein Ende zu bereiten. Ein Zufall, das mit der Tellerbombe. Reiner Zufall und gleichzeitig eine Chance, nicht wahr?«
    Dieses ständige Nachhaken finde ich unerträglich. Okay, reg dich ab. Denk an etwas anderes.
    »Mich jagen Sie nicht ins Bockshorn, Dr. Peng.«
    Ich rümpfe unmerklich die Nase. Ich befinde mich im Zustand schwerer Überreizung, werde noch zappeliger. Muss Kräfte aufbringen, um es nicht über meinen Körper abzuleiten und es dadurch zu erkennen zu geben.
    »Ich darf behaupten, es gibt momentan wahrscheinlich niemanden auf der Welt, der besser über Sie und Ihre Lebensumstände Bescheid wüsste als wir. Sie haben ein wenig verbrannte Erde in Deutschland hinterlassen. Wahrlich. Ziemlich merkwürdiges Zeug, was Sie da veranstaltet haben, wenn Sie gestatten.«
    Auf rätselhaft charmante Art zwinkert er mich an. Ich frage mich plötzlich, woher er so gut deutsch kann. Eliteeinheit, garantiert. Ich zittere wie Espenlaub, glaube aber trotzdem, dass es niemand mitkriegt. Ein Königreich für ein Insidon. Hier drin ist es schweißtreibend heiß von den Lampen.
    Er öffnet den Deckel eines weinroten Pappordners und zieht ein Papier hervor.
    »Hier zum Beispiel: Sie hatten ein kleines Aggressionsproblem während einer Präsentation in Wien, bei einer Fluggesellschaft! Wie passend! Ferner ist uns zu Ohren gekommen, dass aufgrund eines von Ihnen sehr
individuell
(Lacher) gestalteten Berichts an Ihren Arbeitgeber Lutz & Wendelen ein Kündigungsverfahren anhängig ist, in dem Lutz & Wendelen gegenwärtigmit psychologischen Gutachten versuchen, Ihre Zurechnungsfähigkeit in Frage zu stellen.«
    Er hat nicht geblufft. Zu meiner Überraschung. Er ist über mich informiert. Und wie. Peinigende Gewissheit. Was geschieht hier?
    Es ist ernst. Ich sage: »Sie wollen mir erzählen, Sie hätten mich innerhalb von«, ich rechne kurz nach, drücke dabei zählend meine Fingerkuppen, eine nach der anderen, gegen meine Oberschenkel, »von nur fünf Stunden durchleuchtet? Das Video haben Sie nicht vor drei Uhr ausgewertet. Und jetzt ist es halb neun. Also in etwas mehr als fünf Stunden?«
    »So ist es, Herr Peng.«
    »So schnell geht das?«
    »So schnell geht das!«
    »So so …«
    »Ja, so schnell geht das«, bekräftigt er.
    Ich beschließe mal wieder, das nicht weiter zu kommentieren.
    Er steht herausfordernd da. Auch wenn niemand hinter mir steht, habe ich den Eindruck, jeden Moment könnte mich von hinten eine Hand anfassen.
    »Sie sind nicht geistig umnachtet, Peng, bei Gott nicht. Sie sind sogar ziemlich auf Zack. Aber ich habe Sie beobachtet, als Sie sich eben das Video angesehen haben. Sie haben keine Ahnung, was Sie da getan haben.« Er funkelt mich unverwandt an. Ich schweige, fassungslos darüber, dass er tatsächlich zu diesem Schluss gelangt ist.
    Dass ich mich vermeintlich von Bord stürzen wollte, okay, das habe ich auch erkannt. Aber meine punktuelle Amnesie zu diagnostizieren?
    Mich quält der Gedanke, dass beides stimmt.
    »Sie haben da ein kleines Problem. Sie verlieren die Kontrolle über sich, habe ich recht?«, sagt er mit einem echten, jetzt aufeinmal fast mitleidigen Lächeln, das seine Respektlosigkeit kurzzeitig wettmacht. »Und das ist Ihnen selbst klar. Sie sind komplett ausgetickt und können sich an nichts mehr erinnern, stimmt’s?« Jetzt wieder diabolisches Grinsen, ich warte darauf, dass er sich die Hände reibt. Himmel ja, es war nichts weniger als ein surreales Erlebnis, das ich vorhin als Videoaufzeichnung auf dem Monitor gesehen habe. Ein schlechter Scherz, ein böser Traum. Ein Traum, aus dem ich seit Wochen den Ausgang nicht finde. Doch diesmal ist es anders. Bisher verlor ich die Kontrolle, mein Verhalten richtete sich gegen andere. Aber jetzt, versuchter Suizid? Absurd. Und mein Versuch sah nicht nach Halbherzigkeit, sondern nach fester Entschlossenheit aus. Nicht so wie der Typ auf dem Dach, der dann doch nicht springt, die Tablettendosis, die keine Überdosis,

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