Paranoia
sondern nur ein Hilfeschrei ist, das Pulsadern aufschneiden, das nur ein Anritzen ist.
Ich schäme mich irgendwie und bin irgendwie wütend auf P, ich sage: »Nicht im Geringsten!«
Er nickt langsam, presst den Mund zusammen und dreht sich weg. Schaut aus dem Fenster, auf dem eine dicke Schmutzschicht liegt. Er benimmt sich wie ein arrogant taktierendes Arschloch. Und nichts anderes ist er. Ich strecke mich. Blinzele ein paar Mal. Dann sage ich: »Ich habe keine Ahnung, wovon Sie sprechen. Und ich möchte nicht unhöflich erscheinen, aber ich wüsste gern, wie sich Ihre Planung bezüglich Herrn Kerschenbaums und meiner Rückreise gestaltet.«
Aus heiterem Himmel entfährt dem rechten Bodyguard ein dermaßen heftiges Niesen, dass wir anderen drei ihn völlig überrascht ansehen. Eilig greift er in seine Jacketttasche und zieht eine Packung Papiertaschentücher hervor, reißt sie auf, nimmt eins raus, legt es über seine beiden Zeigefinger, fährt gleichzeitig in beide Nasenlöcher und stochert in völliger Selbstvergessenheit darin herum, bis sein Kopf hochrot wird. Dann faltet er das Tuch und stopft es zurück in seine Seitentasche.Erst dabei bemerkt er, wie wir anderen jede seiner Bewegungen regungslos mitverfolgen und sein Bravourstück das ganze Gespräch zum Erliegen gebracht hat. Erschrocken glotzt er uns der Reihe nach an und bleibt schließlich an seinem Chef hängen. Einen Moment lang – Standbild. Die ganze konspirative Bedrohlichkeit, die P so mühsam aufzubauen versucht hat, ist vorerst zum Teufel. Erst ich mit meinem Hustenanfall und jetzt das. P feuert seinem Untergebenen einen Gesichtsausdruck entgegen, in dem Verständnis keine hervorragende Rolle spielt. Reumütig ordnet der Muskelmann sich und schaut nach vorn. Das mimische Äquivalent zu einem Muschelrauschen. Noch während wir anderen uns wieder fassen, frage ich P: »Kann ich jetzt gehen?«
Ich weiß auch nicht, wieso ich so einen Blödsinn frage, doch es ist mir momentan vollkommen unwichtig, vor mir selber gut dazustehen.
Er antwortet forsch: »Moment noch, Herr Dr. Peng, ich bin noch nicht fertig. Ganz so einfach ist die Sache nicht.«
»Dachte ich mir«, gebe ich zu und lehne mich wieder zurück.
»Uns ist nicht daran gelegen, Sie bloßzustellen. Wie Sie aber selbst gesehen haben, könnten aufmerksame Beobachter darauf stoßen, dass an Ihrem so löblichen Verhalten ein Haken ist. Wenn die Medien das Band in die Hände kriegen und unter der Lupe auswerten, könnte es ein Mordstheater um Ihre Person geben.« Er senkt das Kinn, gefällige Pose. »Daran ist uns nicht gelegen.«
So wie sich das anhört, scheint es sich hier um eine Staatsangelegenheit höchster Priorität zu handeln. Was in krassem Gegensatz zur Mickrigkeit des Raums steht, in dem wir uns befinden. Dieser Umstand wiederum lässt das Ganze langsam noch dramatischer erscheinen. Und wieder zieht ein unsichtbarer Flieger dröhnend über unsere Köpfe.
»Wir werden nun folgendermaßen vorgehen. Im Gegensatz zu Ihrem Foto und der Geschichte in der ›Trud‹, ist das Video noch nicht in Umlauf gebracht worden. Nachdem wir uns geeinigt haben, Herr Peng, werden wir der Öffentlichkeit unsere eigene, bearbeitete Version dieses Bands präsentieren. Unsere für die Öffentlichkeit bestimmte Kopie ist bereits an den entscheidenden Stellen editiert. Soll heißen, einige Sekunden vor und unmittelbar nach der Explosion fallen der Schere zum Opfer, da wir mit technischen Details nicht hausieren gehen wollen. Das könnte unseren Ermittlungen hinderlich sein. Wir möchten bestimmte technische Informationen nicht publiziert wissen. Und natürlich werden die Sekunden nach Ihrer Rettung der schwangeren Dame ebenfalls herausgeschnitten. Subtil und unter Berücksichtigung des Time Codes und der ganzen Feinheiten, das lassen Sie mal unsere Sorge sein. Sie werden in den Augen des Zusehers der makellose Held bleiben, als der Sie heute von der Titelseite prangen. Und das kommt Ihnen vielleicht ganz gelegen und schmeichelt Ihnen doch sicher! Der Held des Tages, haha.«
Ja, bald wird es alle Welt wissen. Ist P womöglich meine einzige Hoffnung, nicht als lebensmüder Psycho aufzufliegen?
Er lacht nach seiner konzentrierten Rede jetzt wieder herzlich.
Schalk im Nacken, Messer in der Hand. Mal geht Feindseligkeit, mal Kumpelhaftigkeit von ihm aus. Wechsel im Sekundentakt. Aber alles dargebracht mit einer gewissen Leidenschaft für das, was er da tut, die mich abwägen lässt, wer von uns beiden ein
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