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Parasiten

Parasiten

Titel: Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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ihrer geschwollenen, blutunterlaufenen Augen, dass er ihre Wohnung
durchwühlt hatte. Sie wusste wirklich nicht, was er suchte. Das sagte sie ihm
ein letztes Mal. Mit letzter Kraft. Er schien ihr endlich zu glauben, denn er
nahm sein Handy aus dem Parka und telefonierte: »Ich habe nichts gefunden. Angeblich
hat sie keine Ahnung, wovon ich rede. Aber sie weiß etwas, da bin ich ganz
sicher.« Dann hörte er zu.
    Sofia schien es, als sei seine Aufmerksamkeit abgelenkt. Mit ihren
zerschundenen Knochen robbte sie über den Boden, wollte zum Telefon kriechen,
das auf dem Wohnzimmertisch stand. Sie kam nicht mal einen Meter weit. Er
setzte seinen Fuß in ihren Nacken. Sie bewegte sich keinen Millimeter mehr. Ein
Tritt von ihm mit seinen schweren Schuhen, und ihr Genick wäre gebrochen.
    Er legte auf und steckte sein Handy weg. Langsam beugte er sich zu
ihr, strich ihr fast zärtlich über die Wangen und dann in einem einzigen,
langsamen Bogen mit seinem Zeigefinger über die Kehle: »Hör zu, Prinzessin, hör
genau zu. Du wirst nicht zur Polizei gehen. Du wirst mit niemandem reden. Du
wirst brav sein und nachdenken. Über das, was wir haben wollen. Und über deine
liebe Familie zu Hause: Mama Ileana und Papa Radu und Schwester Alina. Unser
Arm reicht weit. Sehr weit. In ein paar Tagen komme ich wieder und frage noch
einmal. Bis dahin hast du begriffen, wie ernst wir es meinen.«
    Sofia zitterte. Dass er die Namen all ihrer Familienmitglieder
kannte, schockierte sie. Sie konzentrierte sich darauf, jetzt nicht in ihre
Hose zu pinkeln. Sie war fest davon überzeugt, dass es im Moment nichts
Wichtigeres geben könnte. Sie durfte sich nicht gehen lassen. An diesem
Gedanken hielt sie sich fest, weil es im Moment nichts anderes gab zum
Festhalten. Die Schmerzen, die Angst und die fast übermenschliche Anstrengung
machten sie plötzlich wütend. »Lass meine Familie in Ruhe, du Arschloch!«
    Er trat wieder zu. »Du hast ja plötzlich eine ganz schön große
Klappe! Aber die wird dir bald vergehen. Denk an meine Worte!«
    Sofia begriff, dass ihre Wut gefährlich war, nicht nur für sie. »Ich
weiß nichts. Wirklich. Ich schwöre!«
    »Beim Leben deiner kleinen Schwester Alina?« Der Mann grinste
gehässig.
    Sofia beschwor alles, was er wollte.
    Als der Mann weg war, schaffte sie es gerade noch bis zur Toilette.

 
    6. April 2010
Hamburg.
    Christians Soko war spezialisiert auf Serienkiller. Der
Tod des Morgenpost-Volontärs Henning Petersen sah nach allem aus, aber nicht
nach Serienkiller. Christian und seine Truppe hatten den Fall dennoch von der
Hamburger Mordkommission zugeteilt bekommen. Das lag an dem erfreulichen
Umstand, dass in Deutschland Serienkiller immer noch eine Seltenheit waren und
weder das BKA noch die vor Ort zuständige Hamburger Behörde die herausragende
Kompetenz dieser Truppe brachliegen lassen konnte. Zwar war es seit dem
Bestehen der Soko Bund ein Bestreben gewisser polizeilicher Kreise gewesen, die
unliebsame Spezialeinheit scheitern zu sehen. Da man sich inzwischen aber an
die Existenz der Soko und an ihre Erfolge gewöhnt hatte, war es zur beliebten
Praktik geworden, zusätzliche und gerne auch unbequeme Fälle an sie abzuschieben.
    Es war am Nachmittag, vier Tage nach Auffinden der Leiche von
Henning Petersen. Christian und Pete kamen gerade aus Itzehoe zurück, wo sie
ein langes, aber unergiebiges Gespräch mit den Eltern des Opfers geführt
hatten. Weder Hennings Mutter noch der Vater schienen auch nur eine Ahnung von
der Homosexualität ihres Sohnes gehabt zu haben. Als Christians Fragen in diese
Richtung gingen, sahen sie ihren in Itzehoe noch so unschuldigen Sohn sofort
als Verführungsopfer perverser Großstadt-Wüstlinge und fragten sich – die Mutter
weinend, der Vater fassungslos –, was sie denn bloß falsch gemacht hätten. Pete
versuchte, sie zu beruhigen und ihnen zu erklären, wie verkehrt diese Frage
war. Christian hatte geschwiegen. Als sein Sohn ihn vor einigen Jahren damit konfrontierte,
schwul zu sein, hatte er sich die gleiche, dumme Frage gestellt. Bis er
begriff, dass auch er in seinem Sohn nur sein Ebenbild suchte, gewissermaßen
ein verbessertes Modell.
    Als Christian und Pete die Zentrale betraten, saßen Herd und Volker
bei Daniel im Kabuff und starrten gemeinsam mit ihm auf den Bildschirm seines
Computers. Christian und Pete blieben an der Tür stehen, auch wenn sie selbst
gerne einen Blick auf den offensichtlich faszinierenden Bildschirm geworfen
hätten. Das Zimmer war

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