Parasiten
definitiv zu klein für fünf Personen. Es war im Grunde
schon zu klein für drei. Herd saß praktisch auf Volkers Schoß. Die beiden sahen
übernächtigt aus.
Volker hob nur kurz den Kopf. »Wir haben ihn.«
Herd ergänzte: »Den ominösen Lover.«
»Hat uns die ganze Nacht in Schwulenbars gekostet. Herd wurde
andauernd angebaggert. Wie die Motten das Licht haben sie ihn umschwirrt.
Schätze, unser Herd ist latent schwul, und wir erleben demnächst sein
Coming-out.«
»Dann ficke ich dich als Ersten.« Herd ließ sich von Volkers
trockenem Humor nie aus der Ruhe bringen. Die beiden grinsten sich an.
»Schön, dass ihr Spaß habt.« Christian wusste, dass er Herd und
Volker nicht drängen durfte, sonst würden sie die Nummernrevue noch weiter
ausdehnen, nur um ihn zu ärgern. »Wenn ihr mit dem Austausch eurer erotischen
Phantasien durch seid, kommt bitte in den Konferenzraum und bringt Pete und
mich auf Stand.«
Christian drehte sich um und ging vor, Pete folgte ihm. Zehn
Sekunden später waren auch die anderen da.
»Wo ist Yvonne?«, fragte Pete.
»In einem Seminar an der Uni. Du wirst dir deinen Kaffee selbst
machen müssen«, sagte Daniel. Er sah auf die Uhr. »Oder du wartest noch ein
paar Minuten, dann ist sie zurück. Mit Anna übrigens, Yvonne hat das Seminar
bei ihr, und die beiden wollen zusammen auf ein Tässchen herkommen.«
»Dann wär’s doch nett, wenn wir schon Kaffee hätten«, meinte Herd
und erhob sich, um in die Kaffeeküche zu gehen.
»Leute, jetzt reicht es! Sind wir hier beim Affenzirkus, oder was?«
Christian schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
»Ich find’s auch besser, wenn du dich endlich hinsetzt und anfängst«,
wandte sich Volker an Herd. »Dein Kaffee schmeckt nämlich scheiße.«
Herd zuckte mit den Schultern und setzte sich wieder. »Petersens
WG-Mitbewohner hat recht. Henning ist in der Schwulen-Szene ziemlich bekannt.
Fast in allen einschlägigen Läden hat man ihn auf dem Foto erkannt. Den Namen
wussten die meisten nicht, aber Namen sind ja bekanntlich Schall und Rauch. Er
kam meistens allein in die Kneipen und Bars und ließ sich dann abschleppen.«
Die tagsüber nicht abgeschlossene Wohnungstür der Soko-Zentrale
quietschte. Anna und Yvonne kamen herein. Anna begrüßte Christian mit einem
Kuss, die anderen mit einem lässigen Winken. Yvonne warf eine Tüte mit süßen
Teilchen auf den Tisch, sagte: »Ich koch mal Kaffee«, und verschwand in der
Küche. Anna setzte sich zu den Männern.
»Herd und Volker versuchen schon seit einer geraumen Weile
vergeblich zu sagen, wer der Lover unseres Mordopfers war. Irgendwie kommen sie
nicht auf den Punkt.« Christian war langsam genervt. Normalerweise freute er
sich über Annas seltene Besuche, doch im Moment empfand er die Unterbrechung
als zusätzlich störend. Vielleicht ging ihm auch gegen den Strich, dass Petes
Blick für seinen Geschmack etwas zu lang auf Anna geruht hatte. Annas kleine
Affäre mit Pete hatte zwar stattgefunden, bevor er sie kennengelernt hatte, und
war damit Schnee von gestern. Aber der alte Stachel, sein Wissen um Annas
Körper und ihr Verhalten im Bett mit einem Kollegen teilen zu müssen, bohrte
gelegentlich immer noch. »Henning Petersen und sein neuer Freund sind mehrfach
zusammen im ›Crazy Horst‹ und zwei anderen Bars gesichtet worden. Das mit den
beiden lief erst seit einigen Wochen, aber sie machten einen sehr verliebten
Eindruck«, fuhr Volker fort.
»Auch der Lover ist bekannt. Er taucht zwar nach Aussagen des
Personals nicht sehr häufig in den Kneipen auf, aber wenn, dann gewaltig«,
ergänzte Herd. »Aufgrund seines guten Aussehens und seiner manchmal Aufsehen
erregenden Auftritte kennen ihn die meisten in der Szene. Er ist ein äußerst
trinkfreudiger junger Pianist aus Russland. Danylo Savchenko.«
»Wie bitte?« Anna sah Herd perplex an.
Herd sah auf seinen Zettel. »Keine Ahnung, ob ich das richtig
ausspreche. Da-ny-lo Sav-chen-ko, 23 Jahre alt.«
Daniel las seine schon gesammelten Informationen von seinem
Bildschirm ab: »Geboren 1987 in Belgorod, Russland, in der Nähe der ukrainischen
Grenze. Der Vater Maxym Savchenko, ein ukrainischer Komponist, die Mutter Elena
Savchenko, geborene Rebko, Russin aus einer verarmten Industriellenfamilie. Die
Eltern ließen sich scheiden, als Danylo neun Jahre alt war. Die Mutter lebt in
Moskau, der Vater seit 1998 in Berlin, wo er vor sich hin komponiert.
Anspruchsvolle Sachen, die keiner haben will, oder billigen Scheiß
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