Parasiten
Bus oder Bahn,
oder er befindet sich noch in Frankreich.«
»Irgendeine Idee, wie wir weitermachen?«, fragte Christian.
»Wir nehmen uns Puri noch mal vor«, antwortete Volker.
»Wir befragen alle unsere Informanten, ob sie was über Mnatsakanov
und seine Auftraggeber wissen«, trug Herd bei.
»Ich suche weiter nach Querverbindungen in Russland zwischen
Mnatsakanov und Savchenko«, schlug Daniel vor.
»Ich könnte Kaffee kochen«, sagte Pete.
Ins allgemeine Gelächter hinein klingelte Christians Handy. Er wurde
zum Oberstaatsanwalt befohlen.
»Was will der denn von dir?«, fragte Volker.
Zwei Stunden später kam Christian schlecht gelaunt in die
Zentrale zurück, wo unter Hochdruck gearbeitet wurde: »Ihr könnt alle aufhören,
nach Hause gehen und euch die Eier schaukeln. Der Fall Henning Petersen ist
abgeschlossen. Herr Oberstaatsanwalt Wieckenberg versteht nicht, wie wir
Steuergelder für eine Spurensicherung bei Sofia Suworow in Bremen verschwenden
konnten. Wo wir doch keinen offiziellen Auftrag in Bremen haben.«
Das Argument war stichhaltig, das wussten sie. Um über die Grenzen
der Bundesländer hinaus zu operieren, brauchte Christians Soko, die in
Deutschland als einzige nicht dem föderalistischen Prinzip verhaftet war, einen
klaren Auftrag vom BKA. Den hatten sie nicht. Sie waren nicht wie sonst auf der
Jagd nach einem über die Bundeslandgrenzen hinaus operierenden Serienkiller.
Sie waren lediglich mit einem Hamburger Mord beschäftigt. Ohne darüber
hinausreichende Befugnisse. Dass dieser Mord ganz offensichtlich mit
Geschehnissen in Bremen und Moldawien zu tun hatte und mutmaßlich sowohl Russen
als auch möglicherweise einen Balten mit einbezog, war bislang nicht bewiesen
und führte zu keinerlei erweiterten Kompetenzen für Christians Truppe.
»Und jetzt?«, fragte Herd.
»Es ist über die Indizienlage mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit erwiesen, dass Antoschka Mnatsakanov Henning Petersen
ermordet hat«, sagte Christian. »Der Mörder ist tot, somit strafrechtlich nicht
mehr zu verfolgen. Die Akte kann geschlossen werden. Ich zitiere nur unseren
Boss.«
»Aber das war ein Auftragsmord«, echauffierte sich Herd. »Solange
wir den Auftraggeber nicht haben …«
»Ich sehe das genau wie du«, fiel ihm Christian genervt ins Wort.
»Aber ihr hättet Wieckenberg mal sehen sollen. Er war ganz blau im Gesicht vor
unterdrückter Wut. Sprach von klarer Dienstanweisung und so. Hat mit
Konsequenzen gedroht bei Zuwiderhandlung. Der stand voll unter Druck. Unter
wessen Druck, das habe ich mich allerdings die ganze Zeit gefragt.«
»Das heißt, wir machen weiter«, sagte Volker.
Alle nickten.
Pete erhob sich. »Ich koche frischen Kaffee für die nächste Runde.
Zwei mal mit, drei mal ohne Zucker.«
Christians abwesender Blick fiel auf das Schaubild. Irgendetwas
daran irritierte ihn. Er wusste nur nicht, was.
Brcko, Bosnien-Herzegowina.
Sie tranken Holunder-Brandy. Eine der Frauen hatte zwei
Flaschen von einem der Aufpasser bekommen. Sie behandelte die Flaschen wie
einen kostbaren Schatz. Fast alle der Frauen stammten aus Gegenden, in denen
man trinkfest war. Zwei Flaschen für dreißig Frauen, das war jeweils nur ein
Tropfen auf den glühend heißen Stein. Ein winziger Schluck brachte den Frauen
nicht, was sie ersehnten: den umgelegten Schalter, den Klick im Kopf, der sie
von ihrem Denken und Fühlen abtrennte. Für diesen Klick brauchten sie mehr als
einen kleinen Schluck. So kam es zum Streit um die Flaschen. Sofia sah die
Frauen trinken, und sie sah sich selbst trinken. Dabei stellte sie sich die
angewiderten Gesichter ihrer deutschen Kolleginnen an der Hochschule vor. Wenn
sich dort jemand gehen ließ, wenn sich jemand unkultiviert benahm … Russinnen,
Ukrainerinnen, Rumäninnen, alles Zigeunerinnen … Holt die Wäsche rein!
Zum ersten Mal in ihrem Leben verspürte Sofia so etwas wie
Solidarität mit ihren moldawischen Landsleuten und den »Verwandten« aus anderen
Balkan-Ländern. Was wussten die kunstbeflissenen Gattinnen in Deutschland von
Armut? Von Ausweglosigkeit? Sie veranstalteten aufwändige
Wohltätigkeitskonzerte zugunsten von Frauenhäusern und Kinderheimen. Sofia
spielte für sie. Strich ihr Honorar ein und fühlte sich gleichzeitig
privilegiert und ausgenutzt. Intellektuell privilegiert den jungen Leuten aus
ihrer Heimat gegenüber, die ihr Heil in einer G-Star-Jeans suchten, emotional
ausgenutzt von den deutschen Frauen, die sich selbstgefällig in
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