Parasiten
gekratzt und weggeschafft worden. Die Aufpasser hatten den
Zwischenfall mit keinem Wort kommentiert, nicht einmal in ihren Mienen zeigte
sich irgendeine Regung. Sie nutzten die Schockstarre der Frauen für eine zweite
Zureit-Runde. Unterdessen wurde das kaputte Fenster mit Brettern zugenagelt,
ebenso wie die anderen beiden Fenster. Der Raum war nun fast völlig
abgedunkelt. In der Nacht herrschte eine gespenstische Stille. Nicht einmal das
übliche Wimmern war zu hören.
Am Morgen danach wurden die Frauen sehr früh geweckt. Das Licht des
Tagesanbruchs sickerte nur mühsam durch die Bretterverschläge. Einige blickten
zu Cristis leerer Pritsche, andere vermieden den Blick dahin.
Die Aufpasser brachten Kaffee und belegte Brötchen zum Frühstück.
Dann wählten sie sieben der hübschesten Frauen aus und gaben ihnen Waschzeug,
Schmink-Utensilien, neue, sexy Unterwäsche in auffälligen Farben und
hochhackige Pumps. Die sieben bekamen den Befehl, sich zu duschen, zu schminken
und die neuen Sachen anzuziehen. Die Schuhe sollten sie untereinander tauschen,
bis jede ein einigermaßen passendes Paar besaß. Sie hatten eine Stunde Zeit.
Sofia gehörte zu den ausgewählten Frauen. Widerstandslos nahm sie
die billige Wäsche und die Schuhe entgegen. Die ersten drei Frauen gingen in
den Duschraum.
Sofia setzte sich zu Katya. »Was passiert jetzt?«
»Ich nehme an, ihr müsst zu der Versteigerung, von der ich erzählt
habe. Bordellbesitzer aus Westeuropa werden um euch feilschen. Die können mehr
Geld ausgeben als ihre Kollegen hier, sind insofern bevorzugte Kunden, die die
beste Ware bekommen.«
»Alina sieht extrem gut aus. Und sie ist jung. Sie ist bestimmt auch
versteigert worden.« Sofia wollte an etwas glauben, was sie näher zu Alina
brachte.
»Kann sein.« Katya zuckte mit den Schultern. Im Moment interessierte
sie Alinas Schicksal wenig. Ihre eigene Zukunft war ihr wichtiger, und die sah
düster aus. Das letzte Mal hatte sie zu den Mädchen gehört, die versteigert
wurden. Jetzt nicht mehr. Sie war verlebt, aussortiert, ihr Marktwert gesunken.
Mit ihren zweiundzwanzig Jahren gehörte sie schon zum Ausschuss und würde in
einem einheimischen Puff oder dem eines angrenzenden Balkanstaates landen, um
die KFOR-Soldaten zu bedienen, die der Meinung waren, dass sie bei ihrem freudlosen
Job fern der Heimat zumindest das Anrecht auf willige und billige Frauen
hatten. Dafür fuhren sie an den Wochenenden auch gerne in die grenznahen Städte
nach Serbien oder Montenegro rüber – damit sie zu Hause am Stammtisch nicht nur
von Kosovo-Nutten erzählen konnten.
»Wer gibt denn am meisten Geld aus für die Frauen?«, fragte Sofia
weiter.
Katya seufzte. »Deutschland, Holland und Norwegen.«
»Deutschland … Vielleicht ist Alina in Deutschland?«
»Ach, Scheiße, lass mich doch in Ruhe, ich weiß es nicht!« Katya
fing plötzlich an zu weinen, was Sofia fast noch mehr schockte als Cristis
Sprung in die Freiheit gestern. Bislang war Katya für sie ein Fels in der
Brandung gewesen, der unerschütterliche Beweis für die psychische
Widerstandskraft des Menschen. »Tut mir leid, wenn ich dir wegen Alina auf die
Nerven gehe«, sagte sie betroffen.
»Wieso denn? Mir geht’s doch super!«, herrschte Katya sie zynisch
an. »Außer, dass ich in ein Drecksloch hier in der Gegend verklappt werde, wo
es definitiv keine Rettung gibt. Keine Bullen oder Sozialarbeiter, die einen
rausholen. Keine Chance auf Flucht aus dem Puff, weil der ganze Balkan ein
großer Puff ist, in dem jeder jeden in den Arsch fickt!« Katyas Wutattacke war
für sie die einzige Möglichkeit, sich wieder zu fangen. Sie wischte sich die
Tränen weg und blickte Sofia trotzig an. »Und da kommst du mir mit deinen
Luxusproblemen!«
Sofia konnte nicht anders, sie lachte laut und hysterisch los:
»Luxusprobleme! Das ist wirklich komisch, Katya. Saukomisch!«
Katya musste plötzlich auch grinsen. »Na ja, ich schätze, das
Bordell, in dem du landest, ist ein echter Wellness-Tempel gegen meinen neuen
Arbeitsplatz.«
»Klar. Ich hänge in der Sauna rum, bade in Eselsmilch und werde mit
ayurvedischen Ölen massiert! Dabei fliegen mir gebratene Täubchen in den Mund!«
Während Sofia immer noch bitter lachte, wurde Katya wieder ernst:
»Okay, hör zu: Wenn du bei der Versteigerung bist, sag bloß nicht, dass du
perfekt deutsch sprichst. Du sagst, du kannst ein paar Brocken Englisch und
ein, zwei Sätze Deutsch. Mehr nicht.«
»Wieso denn? Wenn ich gut deutsch kann,
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