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Parasiten

Parasiten

Titel: Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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Sozialarbeit
suhlten, ohne sich die Finger schmutzig zu machen. Sofia begriff, dass sie zu
Unrecht so dachte. Auch sie hatte keine Ahnung gehabt, was hier wirklich vor
sich ging.
    Cristi trank am gierigsten. Sie war erst zwei Stunden nach Sofia vom
Zureiten zurückgekommen. Ihr Gesicht, wie Katya prophezeit hatte, völlig
unversehrt. Aber ihr Körper und ihre Seele zerschunden. Sie bat die Frau, die
vor einigen Stunden die rumänische Nationalhymne gesungen hatte, das Lied zu
wiederholen. Die Rumänin, sie war höchstens zwanzig Jahre alt, nahm noch einen
Schluck von dem Brandy und begann, mit leiser Stimme zu singen. Nach und nach
stimmten zwei, drei andere Frauen ein.
    Sofia wünschte sich, ihre Geige zu haben, um das Lied begleiten zu
können. Es bestand aus einfachen, aber schönen Harmonien.
    Cristi kam zu ihr. »Du suchst deine Schwester, nicht wahr?«
    Sofia nickte.
    »Glaubst du, sie war hier und ist zugeritten worden?«
    Sofia zuckte mit den Schultern und wandte den Blick ab. Sie bekam
kein Wort heraus.
    »Sie ist siebzehn, deine Schwester, nicht wahr?«
    Sofia nickte wieder.
    »Ich bin auch siebzehn«, sagte Cristi.
    »Das tut mir leid«, sagte Sofia. Sie wusste selbst nicht genau, was
sie damit meinte.
    »Mir auch«, sagte Cristi.
    Die Frauen waren bei der letzten Strophe angelangt.
     
    Waffen in den Armen, euer Feuer in den Adern,
    Schreit mit einer Stimme: »Lebendig und frei, oder tot!«
    Cristi stand auf und rannte los. Sie rannte auf die Wand
mit dem größten Fenster zu und sprang mit aller Kraft ab. Die Scheibe klirrte.
Cristi flog. Für ein paar Sekunden war sie frei.

 
    Hamburg.
    Christian saß mit hochgelegten Füßen und einem Kaffee am
Konferenztisch, und betrachtete das Schaubild von Pete. Er fand es gar nicht so
blöd, irgendetwas daran fesselte seine Aufmerksamkeit. Gestern Abend hatte er
Anna nach diesem Hellinger befragt. Sie hatte sich ähnlich abfällig über den
Schweizer Priester und Psychologen geäußert, der Aufstellung jedoch einen
gewissen methodischen Wert zugestanden. Petes Gedanken, einen Mordfall als
systemisches Gebilde zu betrachten, fand sie interessant.
    Im Nebenraum hämmerte Daniel auf der Tastatur seines
Laptops herum. Er war heute noch nicht aus seinem Büro gekommen, nur die dicken
Qualmwolken seiner Selbstgedrehten quollen heraus. Christian ließ ihn völlig
eigenverantwortlich arbeiten. Im ersten Jahr hatte er gelegentlich nachgefragt,
was und wie Daniel recherchierte, war dann aber stets innerhalb einer Minute
aus Daniels Erklärungen ausgestiegen. Christian zählte zu den Menschen, die
schon froh waren, fehlerfrei eine Mail mit Anhang zu versenden. Yvonne war mal
wieder an der Uni, Volker und Pete trafen sich mit zwei Informanten, um etwas
über Mnatsakanovs Kontakte herauszufinden, und Herd ölte draußen im Flur die
Eingangstür zur Zentrale, deren Gequietsche ihm zusehends auf die Nerven gegangen
war.
    »Herd!«, rief Christian in den Flur. »Lass die Tür, und komm her!«
    »Sofort, nur noch ein Tropfen …«
    Die Tür quietschte noch einmal, dann herrschte Stille. Herd wusch
sich die Hände in der Küche und kam mit einem Kaffee zu Christian.
    »Sorry, aber du weißt, dass mich so was wahnsinnig macht.« Herd
hatte Modellschreiner gelernt, bevor er sich nach einem Mord in der
Nachbarschaft für eine Polizei-Laufbahn entschied. Vermutlich besaß er deswegen
seinen akribischen Blick fürs Detail. Praktisch für alle waren Herds
handwerkliche Fähigkeiten zudem: Wenn in der Bruchbude, die sie Zentrale
nannten, etwas zu reparieren war, und das kam häufig vor, übernahm er es.
    »Was fällt dir auf?«, fragte Christian und zeigte auf das Schaubild.
    Herd schaute hin. »Pete hätte ein Lineal benutzen sollen. Die Pfeile
sind total krumm.«
    »Dein Ordnungswahn nimmt langsam krankhafte Züge an. Sonst fällt dir
nichts auf?«
    Herd ließ sich mehr Zeit. »Nur zwei deutsche Namen.«
    »Genau. Henning Petersen und Beatrix Hutter. Zwei deutsche Namen.
Und kein Pfeil zwischen den beiden. Ist das nicht seltsam?«
    »Liegt wohl daran, dass Pete für das private Umfeld Petersens
›Morgenpost‹ und ›Eltern‹ notiert hat. Sonst gäbe es mehr deutsche Namen. Oder
denkst du an was Bestimmtes? Es gibt wirklich keine Verbindung zwischen der
Hutter und Petersen, das haben wir genau überprüft.«
    »Wir haben zwei Tote. Und drei Verschwundene«, sinnierte Christian
weiter. »Und nicht Danylo hat die meisten Pfeile, sondern Sofia.«
    Auf der rechten Seite des Schaubildes

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