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Parasiten

Parasiten

Titel: Parasiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Heib
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    Deswegen liebte er sie. Genau deswegen.
    Als die erste Hälfte des Konzerts vorbei war, gierte Christian nach
einem Bier. Zu seiner Überraschung gab es sogar welches. Christian versuchte
dankbar, seine Vorurteile zu revidieren. Er hatte angenommen, dass hier nur
Wein und Prosecco verköstigt wurden. Er stand inmitten der Konzertbesucher und
ließ seinen Blick schweifen. Anna war auf einen Kollegen von der Hamburger
Universität gestoßen, mit dem sie sich angeregt unterhielt. Alle um ihn herum
unterhielten sich angeregt. Und bestätigten seine Vorurteile wieder, trotz des
volksnahen Bieres in seiner Hand. Drei ältere Männer sprachen über die
Virtuosität der Cellistin und die Bedeutung von Schostakowitschs Cellosonate in e-Moll , eine Gruppe neben ihm diskutierte
die kulinarischen Spezialitäten der Toskana, die im Übrigen als Reiseziel schon
lange überholt sei, zwei Frauen rechts von ihm mokierten sich über die Kritiker
der Elbphilharmonie. Um ihn herum waren nur Menschen, mit denen er sich nicht
vorstellen konnte, über einen möglichen Aufstieg von St. Pauli zu reden. Er
fühlte sich fehl am Platz und spürte gleichzeitig einen großen Widerwillen
gegen diese Kulturschickeria. Christian stammte aus einer Arbeiterfamilie. Zwar
war ihm keine Scham über den eigenen Status vermittelt worden, dennoch hatte
man ihn in einer Art devotem Respekt den »Bessergestellten« gegenüber erzogen.
Was nur dazu führte, dass er als Jugendlicher heftig gegen das Establishment
revoltierte. Auch heute noch warf ihm Anna manchmal lächelnd vor, mit seiner
proletarischen Herkunft zu kokettieren.
    Als Christian für ein paar Minuten hinaus an die frische Luft gehen
wollte, traf er unversehens auf zwei Hamburger Bekannte. George, der
Chefredakteur der Hamburger Morgenpost, stand mit Oberstaatsanwalt Wieckenberg
ins Gespräch vertieft. Christian lief ihnen geradezu in die Arme. Wieckenberg
begrüßte ihn mit einem Scherz über den lohnenswerten »long way to Tipperary« –
und meinte damit Bad Bramstedt. Christian bemühte sich gar nicht erst um ein
höfliches Lächeln.
    Nach weiteren belanglosen Floskeln erzählte George, dass Walter
Ramsauer Ende April überraschend gekündigt hatte. George konnte sich das nicht
erklären. Mitten im Erziehungsurlaub! Er mutmaßte, dass Ramsauer ein besseres
Angebot bekommen hatte. Möglicherweise vom Spiegel oder vom Stern, da hatte
Ramsauer seine Zukunft gesehen.
    Christian nahm Georges Randbemerkung nur mäßig interessiert auf,
denn Anna kam zu ihm und wies ihn flüsternd auf einen Mann an einem der
Stehtische hin: »Das dort ist Karl Jensen, der künstlerische Leiter der
›Norddeutschen Musikabende‹. Mit ihm hat sich Sofia Suworow gestritten. Du
weißt schon, an dem Abend, als Savchenko das Konzert geschmissen hat.«
    Spontan ging Christian zu dem Mann hin und stellte sich vor. Jensen
begrüßte ihn zuvorkommend, aber etwas irritiert: »Schön, Sie kennenzulernen,
Herr Beyer.«
    Christian ging offensiv vor: »Wieso hat Sie Sofia Suworow an dem
Abend des Konzerts mit Danylo Savchenko eigentlich gefragt, was Sie ihm angetan
hätten? Das ist doch eine recht seltsame Frage, oder?«
    Jensen stimmte ihm abweisend zu und wiegelte gleichzeitig ab. Bei
dieser Gratwanderung versuchte er, souverän zu wirken, doch seine Nervosität
war deutlich sichtbar: »In der Tat, eine sehr seltsame Frage. Es ist mir ein
Rätsel, wie Sie zu dieser Behauptung kommen. Ein derartiges Gespräch mit Frau
Suworow hat nicht stattgefunden, sonst würde ich mich garantiert erinnern. Wenn
Sie mich jetzt bitte entschuldigen würden … Gesellschaftliche Verpflichtungen,
Sie verstehen.« Jensen lächelte und ließ Christian stehen.
    »Sehr subtil, deine Befragung«, spottete Anna freundlich.
    Christian wusste, dass er ungeschickt vorgegangen war. Statt
Antworten zu bekommen, hatte er sein Gegenüber verprellt. Aber er hatte
schließlich keine Zeit für einen raffinierten Gesprächsaufbau gehabt.
»Überraschungsangriff. Manchmal führt es zum Ziel, wenn man mit der Tür ins
Haus fällt«, sagte er mürrisch.
    »Aber nicht bei einem rhetorisch geübten Profi.«
    Die Pausenglocke rief zur zweiten Konzerthälfte.
    Laut Folder standen nun Cellosonaten von Brahms und Beethoven auf
dem Programm. Anna und Christian nahmen ihre Plätze ein. Christian schloss die
Augen und dachte an die genial gewürzten Gambas al ajillo bei
›Odysseus‹. Danach eventuell die in Kräutern gebeizte Lammkeule und dann

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