Parasiten
den letzten Wochen verschlief Vadim den
ganzen Tag. Er hatte sich perfekt an den Lebensrhythmus des Rotlichtmilieus
angepasst. Bis morgens gegen fünf Uhr war er mit Danylo durch die Osloer Bars
und Nachtclubs gezogen. Danach hatte er eine Tankstelle überfallen und fast
dreißigtausend Kronen erbeutet. Sie waren vollkommen pleite gewesen. Danylo
hatte eh nur wenig Geld besessen, weil er seine Gagen üblicherweise großzügig
mit Freunden verprasste oder aufgestaute Schulden zurückzahlte. Auch Vadims
Rücklagen waren schnell aufgebraucht gewesen, und die täglichen Bordellbesuche
gestalteten sich außerordentlich kostspielig.
Vadim erwachte gegen sieben Uhr am Abend. Danylos Bett war leer. Aus
Kostengründen bewohnten sie inzwischen ein gemeinsames Zimmer in einem
schäbigen Hotel am Stadtrand. Vadim seufzte, stand auf, wusch sich und zog sich
für das Nachtleben an. Als er seine Geldbörse überprüfte, stellte er fest, dass
von den Tankstellen-Kronen ein paar Tausender fehlten. Vadim wusste, wo er
Danylo finden würde.
Gegen neun Uhr betrat er die ›Ocean Bar‹ in der Innenstadt. Selbst
für einen frühen Dienstagabend war die Bar schlecht besucht. Nur ein
vereinzeltes Pärchen drückte sich knutschend in einer der Nischen herum. Wie
erwartet saß Danylo am Flügel. Seine Hände lagen bewegungslos auf den Tasten,
er stierte ins Nichts. Neben ihm auf einem Beistelltisch standen ein Glas und
eine fast vollständig geleerte Flasche Whisky.
Marten, der Wirt der ›Ocean Bar‹, befand sich hinter seinem Tresen
und polierte Gläser. Vadim ging zu ihm und bestellte sich ein Wasser.
Inzwischen konnte er sogar ein paar Brocken Norwegisch. Er wies mit einer
Kopfbewegung auf Danylo und sah Marten fragend an. Marten zuckte nur mit den
Schultern.
Als Vadim und Danylo vor langen Wochen zum ersten Mal hiergewesen
waren, hatte sich Danylo, hocherfreut über die unerwartete Gelegenheit, an den
Flügel gesetzt und spontan ein kleines Konzert gegeben. Obwohl die Klientel der
›Ocean Bar‹ nicht unbedingt das typische Klassik-Publikum darstellte, zeigten
sich die Gäste begeistert und Marten großzügig. Danylo schien für die Zeit, in der
er spielte, fast glücklich. Seitdem kam er fast jeden Tag hierher, trank mehr
oder weniger auf Martens Kosten oder machte einen Deckel und ließ sich volllaufen.
Auch jetzt schien er schon nicht mehr von dieser Welt.
Vadim tippte auf seine Armbanduhr. Marten zeigte drei Finger hoch.
Danylo trank also seit drei Stunden. Mit dem Glas Wasser in der Hand
schlenderte Vadim zu Danylo.
»Hier. Trink das.« Er hielt ihm das Wasser hin.
Danylo blickte ihn mit glasigen Augen an, nahm sein Whiskyglas,
trank es in einem Zug leer und goss sich nach.
»Ganz toll, Danylo. Super!« Vadim hatte die Nase längst voll von
Danylos Selbstmitleid. Aber er brauchte ihn. »Wir gehen was essen und dann ins
›Babalu‹.«
Das ›Babalu‹ war ein Bordell oberer Klasse, wo man ihnen vor einer
Woche gesagt hatte, dass heute eine Lieferung neuer Mädchen ankommen würde.
Wenn sie einen Puff besuchten, gingen sie immer nach der gleichen Strategie
vor: Danylo übersetzte, dass sie Touristen auf Europareise seien, sein
dämlicher Freund aus Moldawien jedoch Heimweh hätte und nun auf der Suche nach
einer moldawischen Nutte wäre, die ihm das Heimweh austrieb. Meistens ernteten
sie mit dieser Nummer einige Lacher, aber sehr selten eine moldawische
Prostituierte. Wenn doch eine da war, konnte Vadim in Ausnahmefällen den Sex
abbiegen mit dem Hinweis, sie sei ihm zu hässlich, zu dick, zu dünn oder sonst
etwas. Wenn das aber unglaubwürdig war, musste er mit den Frauen schlafen, um
kein Misstrauen zu erregen. Alina hatten sie noch nicht gefunden, nicht einmal
einen vagen Hinweis auf sie hatten sie bekommen. In einigen Clubs waren Vadim
und Danylo schon mehrfach gewesen, und langsam wurde die Heimweh-Scharade
unglaubwürdig. Erst vorgestern waren sie unsanft aus einem Bordell
hinausbefördert worden, weil der Besitzer in ihnen Bullen, Spitzel oder die
Einwanderungsbehörde vermutete.
»Hab keinen Hunger«, erwiderte Danylo. »Und ins ›Babalu‹ kannst du
auch ohne mich.«
Mit jedem Bordellbesuch war Danylos Abneigung gegen den ganzen
Rotlicht-Betrieb gewachsen, obwohl er sich früher selbst exzessiv in
einschlägigen Bars herumgetrieben hatte. Inzwischen empfand er nur noch Ekel,
den er mit immer mehr Whisky herunterspülte. Einerseits verachtete Vadim
Danylos Empfindsamkeit, anderseits tat er ihm leid. Danylo
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