Parasiten
vielleicht
…
Sein Handy klingelte mitten in Christians fiktives Dessert, realiter
in Brahms hinein. Nicht nur Anna sah ihn vorwurfsvoll an. Mit einem
schuldbewussten Handgriff unterdrückte Christian den Anruf, nutzte jedoch nur
zu gerne die unpassende Gelegenheit, sich aus den Zuhörerreihen im Konzertsaal
hinauszuschlängeln. Christian rechnete nicht mit einem wichtigen Anruf. Umso
heftiger beschleunigte sich sein Puls, als er die Nachricht abhörte. Ohne
Rücksicht auf die empfindsamen Gemüter der Konzertbesucher stiefelte er zurück
in den Saal, trat nicht nur metaphorisch einigen Leuten auf die Füße und zerrte
Anna von ihrem Sitz.
»Ich hoffe, du hast einen guten Grund für dein Benehmen«, schimpfte
Anna, sobald die Tür zum Saal hinter ihr zugefallen war.
»Einen verdammt guten«, erwiderte Christian.
Frankfurt.
Acht Stunden bevor Christian mit Anna im Schlepptau das Konzert
in Bad Bramstedt verließ, bezogen Danylo und Vadim ein günstiges Hotelzimmer in
Frankfurt. Während des Fluges von Oslo nach Frankfurt hatten sie sich gegenseitig
ihre von Oleg frisch geschürten Hoffnungen kleingeredet. Zu schwer wog die
Angst vor einer erneuten Enttäuschung. Wenn sie Sofia hier nicht fanden, was
sollten sie dann tun? Zurück nach Oslo? Zurück nach Chişinău? Zurück in den Mutterleib, dem ersten und
letzten Ort der Unschuld?
Nachdem sie ihr weniges Gepäck im Hotel verstaut hatten, aßen sie in
einem nahe gelegenen Steakhaus Vierhundert-Gramm-Rib-Eyes mit Pommes und Salat.
Sie brauchten eine Schutzschicht, mit Fett fein marmoriert, um ihre bloß liegenden
Nerven. Vor allem Danylo war hungrig, er hatte am Tag zuvor nur ein belegtes
Brötchen zum Frühstück zu sich genommen und sich dann ausschließlich von
Alkohol ernährt. Das Essen verschaffte ihnen die nötige Entspannung, sodass sie
noch ein paar Stunden schlafen konnten, bevor sie ins ›Justine‹ gingen. Es
dauerte noch Stunden, bis das Bordell öffnete, und nach Sightseeing in Bankfurt
stand ihnen nicht der Sinn.
Gegen elf Uhr abends betraten sie den First-Class-Puff ›Justine‹. Es
kostete Vadim einen großen Euroschein und Danylo all seine Überredungskunst und
seinen Charme, dass sie trotz ihres wenig exklusiven Aussehens und Danylos
bedrohlich wirkender Wunden im Gesicht eingelassen wurden. Die Bar bot jede
Menge mit rotem Samt ausgekleideter Separees zur Anbahnung der Kontakte, die
dann im oberen Stockwerk intensiviert wurden. Am Tresen saßen einige
offensichtlich gut situierte Männer, die Champagner mit leicht bekleideten Damen
tranken. Die Musik war angenehm leise, alles hier wirkte dezent, wenn man von der
spärlichen Bekleidung der Frauen absah.
Vadim und Danylo wurden von der Chefin begrüßt. »Guten Abend, die
Herren, mein Name ist Evelyn.«
Evelyn ordnete sie nach einem kurzen Blick der wenig interessanten
Kundschaft zu und hielt ihre Ansprache freundlich, aber knapp. Sie erklärte die
Möglichkeiten des Hauses, wies auf einschlägige Themenzimmer und den
Wellness-Bereich hin und wünschte einen entspannten Abend.
Vadim und Danylo dankten, setzten sich an den Tresen und sahen sich
neugierig um. Sofia war nicht unter den Frauen in der Bar. Dafür kamen sofort
zwei andere zu ihnen, eine Asiatin namens Kim und eine Deutsche, die sich
Sybille nannte. Sie schmiegten sich offensiv an Vadim und Danylo und bestellten
eine Flasche Champagner beim Barmann.
Danylo erklärte den beiden Frauen, dass sein Freund nur russisch und
rumänisch sprach. Sie lachten und wiesen Danylo auf die internationale
Verständlichkeit ihres Idioms hin: heiße, hemmungslose Liebe.
Vadim hatte Danylo vor dem Bordellbesuch eingeschärft, vorsichtig zu
sein. Sie durften keinen Fehler machen, nicht zu offensiv fragen, nicht
auffallen. Danylo hatte nur genickt. Vadims Besserwisserei ging ihm auf die
Nerven. Schließlich war er, Danylo, derjenige, der sechs Sprachen beherrschte
und sich auf internationalen Bühnen bewegte, als sei er eigens dafür geboren
worden. Und auch wenn er ausschließlich mit Männern ins Bett stieg, konnte er
doch außerordentlich gut mit Frauen umgehen.
Er schüttete den Champagner in sich hinein und bestellte sich einen
Brandy dazu. Vadim sah ihn warnend an. Danylo ignorierte den Blick. Wenn er
seine Rolle hier einigermaßen gut spielen sollte, musste er erst einmal den
Ekel herunterspülen.
Danylo plauderte ein wenig mit den Mädchen und erzählte ihnen, dass
Vadim ein rumänischer Rockstar sei und er sein Manager. Kim fragte
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