Parasiten
’ner Stadt namens Kischikau. Oder Tschichnow …« Kim
überlegte.
»Chişinău? Or Kishinev?«,
fuhr Vadim atemlos dazwischen.
Kim nickte. »Ja, so hieß das!«
Danylo sah an Sybilles Blick, dass sie langsam misstrauisch wurde.
Er wandte sich betont unaufgeregt an Kim: »Eine Rumänin wäre besser. Aber so
’ne Moldawierin ist auch okay, die sprechen rumänisch. Wieso war die hier? Ist sie jetzt woanders?«
»Sie ist vor vier Tagen plötzlich verschwunden. Ein paar Mädchen
sagen, sie wäre in der Nacht abgehauen. Wie, weiß keiner.« In Kims Blick
schwang heimliche Sehnsucht mit.
»Weil sie eben nicht abgehauen ist, du Dumpfbacke!«, mischte sich
Sybille ein. »Die haben sie entsorgt!«
Vadim hielt es nicht mehr aus und drängte Danylo, ihm zu übersetzen.
Der hielt den Zeitpunkt für denkbar ungeeignet und ignorierte Vadims
Zwischenfragen.
»Was meinst du mit ›entsorgt‹?«
Sybille verzog verächtlich ihre Miene: »Die war total neben der
Spur, die Alte. Auf Droge und voll im Arsch. So was können wir hier nicht
gebrauchen. Hier arbeiten nur First-Class-Frauen!«
»Wie du, du Schlampe?« Danylo verlor nun auch die Nerven.
»Genau.« Sybilles Ton wurde scharf. »Sofia war ein kaputtes
Drecksstück. Nicht mehr zu gebrauchen. Deshalb hat man sie entsorgt. Müll
gehört auf die Müllkippe, hat Evelyn gesagt. Und das ist in Frankfurt der Main.
Da ist sie gelandet!«
Ohne zu überlegen hob Danylo die Hand und schlug Sybille ins
Gesicht. »Du bist nicht mal so viel wert wie der Dreck unter Sofias
Fingernägeln«, schrie er.
Vadim sah, wie zwei der Aufpasser herbeigestürmt kamen. Er hatte
keine Chance, die Waffe zu ziehen. Blitzschnell drehten die Leibwächter ihnen
die Arme auf den Rücken. Innerhalb weniger Sekunden fanden sich Vadim und
Danylo auf der Straße wieder.
»Toll!«, fuhr Vadim Danylo an. »Ganz toll! Kannst du mir gefälligst
mal sagen, was da drin abgelaufen ist? Und wo ist Sofia?«
Danylo fing an zu schreien, er schrie die übelsten russischen
Flüche, trat gegen Hausmauern … Als Vadim ihn beruhigen wollte und seine Hand
auf Danylos Schulter legte, schlug Danylo auch nach ihm.
»Scheiße, bist du jetzt komplett verrückt geworden?«, fuhr Vadim ihn
an. Als er in Danylos glühende Augen sah, fürchtete er, recht zu haben. Danylo
wirkte völlig unberechenbar. Erschrocken ließ Vadim von ihm ab.
Es dauerte mehrere Minuten, bis Danylo endlich zu toben aufhörte.
Ganz plötzlich verstummte er und blickte wie versteinert auf das ›Justine‹.
Vadim wagte erst jetzt, ihn wieder anzufassen. Mit sanfter Gewalt
zog er ihn fort. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite, nur etwa zweihundert
Meter entfernt, befand sich eine heruntergekommene Kneipe.
Danylo ließ sich wie ein Schlafwandler von Vadim zu einem der Tische
führen und auf einen Stuhl setzen. Den Brandy, den Vadim ihm vom Tresen holte,
trank er in einem Zug leer. Erst dann begann er Vadim zu erzählen, was er im
›Justine‹ erfahren hatte. Als er geendet hatte, fügte er noch einen Satz hinzu:
»Ich werde sie alle töten.« Dann verfiel er in dumpfes Schweigen.
Rendsburg.
Christian und Anna wurden auf der Intensivstation von Hauptkommissar
Kai Thamm empfangen. »Leider ist sie schon wieder ohne Bewusstsein«, sagte er
nach der knappen Begrüßung. »Sie ist nur kurz zu sich gekommen und hat der
Krankenschwester in gebrochenem Deutsch zwei Mal den Satz gesagt: ›Mein Name
ist Alina Soworow. Ich will mit meiner Schwester Sofia in Bremen telefonieren.‹
Die Krankenschwester hat uns sofort Bescheid gegeben, da wir die Frau noch
nicht identifiziert hatten. Als wir die Vermisstenlisten durchgegangen sind,
haben wir Ihre Meldung bei der SIS gefunden.«
»Danke, dass ihr mich gleich angerufen habt«, erwiderte Christian.
»Ja, danke. Auch wenn Sie mitten in eine Brahms-Sonate hineingebimmelt
haben«, sagte Anna lächelnd. Schon als Christian sie vor dem Konzertsaal über
Thamms Anruf informiert hatte, war ihr Ärger über die Störung verflogen und
Brahms völlig egal.
»Was ist mit Alina? Wie und wo wurde sie gefunden?« Christian konnte
seine Neugier kaum zügeln.
»Gehen wir doch in den Aufenthaltsraum.« Thamm wies ihnen den Weg
und schenkte von dem dort bereitstehenden Pfefferminztee ein.
»Sie wurde heute Morgen gegen sechs Uhr von einem Frühaufsteher mit
Hund etwa zehn Kilometer westlich von hier am Ufer eines kleinen Sees gefunden.
Bewusstlos, völlig entkräftet, mit hohem Fieber. Der Arzt sagt, sie hat
Weitere Kostenlose Bücher