Parasiten
wäre, hätten wir sie schon
längst gefunden.«
»Diesmal hat er aber zuverlässige Informationen! Er wusste sogar den
Namen des Bordells!«
»Du verarschst mich!« Nun war Danylo wach. Hellwach.
Vadim schüttelte den Kopf. »Einer von Olegs Freunden hat Sofia bis
zur deutschen Grenze gebracht. Dort wurde sie von zwei Typen übernommen. Die
arbeiten für einen Boss in Frankfurt und holen immer die Ware für das erste
Haus am Platz. Das ›Justine‹.«
»Frankfurt.« Danylo konnte es immer noch nicht glauben.
Vadim nickte. »Wir schlafen noch ein paar Stunden, dann ab zum Flughafen.«
»Was ist mit Alina?«, frage Danylo unsicher.
»Du hast selbst gesagt, wenn sie hier wäre, hätten wir sie schon
gefunden.«
Danylo stimmte zu. Sie würden nach Frankfurt fliegen.
Der Versuch, noch ein wenig zu schlafen, gelang ihnen nicht. Bereits
im Morgengrauen schütteten sie einige Tassen dünnen Flughafen-Kaffees in sich
hinein. Als sie endlich die Maschine bestiegen, warf die Stewardess einen
geschockten Blick auf Danylos blutverkrustetes Gesicht. Er sah aus wie ein
Schwerverbrecher.
»Der tut nix. Hoffe ich zumindest«, sagte Vadim auf Russisch zu ihr.
28. Juli 2010
Bad Bramstedt.
Christian fragte sich im Stillen, warum man für ein klassisches
Konzert bis nach Bad Bramstedt fahren musste. Schließlich gab es in Hamburg
genug Konzerte, auch klassisches Gefiedel. Musste er sich wirklich in Annas
winziges Cabriolet zwängen und zig Kilometer aus der Zivilisation herausfahren,
um diese Cellistin zu sehen? Anna war überzeugt davon. Sie hatte ihm ein ganz
besonderes musikalisches Erlebnis versprochen: Die Cello-Sonaten von
Schostakowitsch, gespielt von einer jungen Argentinierin mit deutschen Wurzeln,
die unter ihren Vornamen Norma Lucia in den letzten beiden Jahren als
hoffnungsvolle Newcomerin auf sich aufmerksam gemacht hatte. Christian
bezweifelte, dass seine Gehörgänge für besondere musikalische Erlebnisse
jenseits von Rolling Stones, Led Zeppelin oder Zappa geeignet waren, doch er
hatte zugestimmt, weil Anna in letzter Zeit von ihm sträflich vernachlässigt
wurde. Eine Frau wie Anna sollte man nicht vernachlässigen. Deshalb hatte sich
Christian auch in einen Anzug gezwängt. Auf Krawatte legte sie glücklicherweise
keinen Wert.
Als sie im Konzertsaal in Bad Bramstedt ankamen, öffnete Christian
seinen obersten Hemdknopf. Auch ohne Krawatte hatte er das Gefühl, zu wenig
Luft zu bekommen. All die feinen Pinkel, die Pfeffersäcke, diese ganze
kulturbeflissene Elite, die sich im Foyer versammelte, verursachte ihm
Unwohlsein.
»Stell dich nicht so an.« Anna nahm ihm lächelnd die Hand nach
unten, mit der er am Hemdkragen fingerte. »Du siehst hervorragend aus und wirst
auch nicht gleich ersticken, wenn du mal nicht dein durchlöchertes
Lieblingsshirt trägst.«
Christian nickte schicksalsergeben und steckte die Hände in die
Hosentaschen, um mit dem hilflosen Herumfingern aufzuhören. Er folgte Anna zu
ihren Plätzen. Sie saßen relativ weit vorne. Anna hatte bedauert, dass die
erste Reihe schon ausverkauft gewesen war. Nur zu gerne hätte sie dieser
Cellistin direkt vor den Füßen gesessen, um »ihren Strich zu spüren«, wie sie
sich ausdrückte. Nach dem üblichen Scharren und Räuspern im Publikum begann das
Konzert.
Norma Lucia spielte voller Hingabe. Anna lauschte wie gebannt.
Christian nicht. Er hatte der hübschen Blondine in ihrem schwarzen,
schulterfreien Kleid einen wohlwollenden Blick geschenkt, doch schon nach den
ersten Takten schweiften seine Gedanken ab zu Henning Petersen, dann nach Chişinău, schließlich zu Maxym Savchenkos
Einäscherung und der von Volker so gelobten Architektur des Krematoriums. Als
Christian sich an Volkers künstlerisches Interesse erinnerte, versuchte er
sofort, sich wieder auf das Konzert zu konzentrieren. Anna würde ihn in der
Pause fragen, ob es ihm gefallen hätte. Er würde etwas Klügeres sagen wollen
als »hoch interessant«. Andererseits würde ihm Anna tiefer schürfende
Behauptungen gar nicht abnehmen. Er sah sie von der Seite an. Sie war
unglaublich schön. Ihr dunkles Haar war wie meist zu einem unordentlichen
Knoten hoch gebunden, das Profil streng klassisch, die Haut perlmuttfarben.
»Ist es sehr schlimm für dich?« Anna hatte sich zu ihm gebeugt und
ihm die Frage ins Ohr geflüstert.
»Im Gegenteil! So schön wie ein lauer Sommerabend im ›Guantanamo Bay
Resort‹«, gab er leise zur Antwort.
Sie grinste. »We love to entertain
Weitere Kostenlose Bücher