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Paris, Ein Fest Fürs Leben

Paris, Ein Fest Fürs Leben

Titel: Paris, Ein Fest Fürs Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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jetzt, wo der Frühling vorbei ist.»
    Chink war Berufssoldat und war von Sandhurst direkt nach Mons gekommen. Ich war ihm zuerst in Italien begegnet, und er war lange Zeit mein und dann unser bester Freund gewesen. Damals verbrachte er immer seinen Urlaub mit uns.
    «Er schrieb letzte Woche aus Köln. Er will versuchen, diesen nächsten Frühling Urlaub zu bekommen.»
    «Ich weiß. Das sollte jetzt sein, und wir würden jede Minute genießen.»
    «Jetzt beobachten wir das Wasser, wie es gegen die Strebepfeiler anspült. Sieh mal, was wir sehen können, wenn wir flußaufwärts blicken.» Wir blickten hin, und da war es alles, unser Fluß und unsere Stadt und die Insel unserer Stadt.
    «Wir haben zuviel Glück», sagte sie. «Ich hoffe, Chink wird kom
men. Er paßt auf uns auf.»
«Er findet das nicht.»
«Natürlich nicht.»
    «Er meint, daß wir gemeinsam Entdeckungen machen.»
    «Das tun wir. Aber es kommt darauf an, was man entdeckt.»
    Wir gingen über die Brücke und waren auf unserer Seite des Flusses.
«Bist du wieder hungrig?» fragte ich. «Da reden und gehen wir ein
fach drauflos.»
«Natürlich, Tatie, du nicht?»
    «Wir wollen in ein wunderbares Lokal gehen und ein wirklich gran
    dioses Mahl essen.»
«Wo?»
«Bei Mi chaud »
«Ausgezeichnet, und es ist so schön nah.»
    Also gingen wir in die Rue des Saints-Pères hinauf bis zur Ecke der Rue Jacob, blieben hin und wieder stehen und blickten in die Schaufenster auf Bilder und Möbel. Wir standen vor Michauds Restaurant und lasen die ausgehängte Speisekarte. Mi chaud war überfüllt, und wir warteten darauf, daß Leute herauskamen, und beobachteten die Tische, an denen Leute bereits ihren Kaffee tranken.
    Wir waren vom Gehen wieder hungrig, und Mi chaud war für uns ein aufregendes und ein teures Restaurant. Dort aß Joyce damals mit seiner Familie. Er und seine Frau an der Wand - Joyce hielt die Speisekarte in einer Hand in die Hohe und beäugte die Speisekarte durch seine dicken Brillengläser, Nora neben ihm, ein herzhafter, aber wählerischer Esser, Giorgio dünn, geziert, mit gestriegeltem Hinterkopf, Lucia mit schönem, lockigem Haar, ein noch nicht ganz erwachsenes Mädchen. Sie sprachen alle Italienisch.
    Wie wir so dastanden, überlegte ich, wieviel von dem, was wir auf der Brücke gefühlt hatten, einfach Hunger gewesen war. Ich frug Hadley, und sie sagte: «Ich weiß nicht, Tatie. Es gibt so viele Arten von Hunger. Im Frühling gibt es mehr. Aber der ist jetzt vorbei. Erinnern ist Hunger.» Ich war wieder stur, blickte durch die Scheibe und sah, wie zwei Tournedos gerade serviert wurden, und wußte, daß ich auf eine simple Art hungrig war.
    «Du hast gesagt, daß wir heute Glück hatten. Natürlich hatten wir's. Aber wir hatten sehr gute Informationen und Tips.» Sie lachte.
    «Ich meinte nicht beim Rennen. Du bist ein so pedantischer Kerl. Ich meinte Glückhaben auf andere Weise.»
    «Ich glaube nicht, daß Chink sich was aus Rennen macht», sagte ich, meiner Sturheit noch etwas hinzufügend.
    «Nein. Er macht sich nur was daraus, wenn er selber reitet.» «Willst du nicht mehr zum Rennen gehen?»
    «Doch, natürlich. Und jetzt können wir wieder gehen, wann immer
wir wollen.»
«Aber willst du auch wirklich gehen?»
«Natürlich. Du doch auch, nein?»
    Nachdem wir erst drinnen waren, gab es ein wunderbares Essen bei

Michaud , aber als wir fertig waren und von Hunger keine Rede mehr sein konnte, war das Gefühl, das wie Hunger war, als wir auf der Brücke standen, immer noch da, als wir den Omnibus nach Hause nahmen. Es war da, als wir ins Zimmer kamen, und es war da, nachdem wir zu Bett gegangen waren und uns im Dunkel Heb hatten. Als ich aufwachte, bei offenen Fenstern und mit Mondlicht auf den Dächern der hohen Häuser, war es da. Ich rückte mein Gesicht aus dem Mondlicht in den Schatten, aber ich konnte nicht schlafen und lag wach und dachte darüber nach. Wir waren beide zweimal in der Nacht aufgewacht, und Hadley schlief jetzt wieder friedlich mit dem Mondlicht auf ihrem Gesicht. Ich mußte versuchen, mir darüber klarzuwerden, aber ich war zu stur. Das Leben schien mir an jenem Morgen so einfach zu sein, als ich aufgewacht war und den trügerischen Frühling vorfand und die Sackpfeife des Mannes mit der- Ziegenherde gehört hatte und ausgegangen war, um eine Rennzeitung zu kaufen.
    Aber Paris war eine sehr alte Stadt, und wir waren jung, und nichts war dort einfach, nicht einmal Armut noch plötzliches Geld, noch das Mondlicht, noch

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