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Paris, Ein Fest Fürs Leben

Paris, Ein Fest Fürs Leben

Titel: Paris, Ein Fest Fürs Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ernest Hemingway
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sagte, daß es sehr gut ginge. Er sagte, er hätte mich frühmorgens auf der Terrasse der Closerie arbeiten sehen, aber er habe mich nicht angesprochen, weil ich so beschäftigt gewesen sei. «Sie sahen aus wie ein Mann, der allein im Dschungel ist», sagte er. «Ich bin wie ein blindes Schwein, wenn ich arbeite.» «Aber waren Sie nicht im Dschungel, Monsieur?»
    «Im Busch», sagte ich.
    Ich ging weiter die Straße hinauf, sah in die Schaufenster und war glücklich über den Frühlingsabend und die vorbeigehenden Leute. In den drei Hauptcafés sah ich Leute, die ich vom Sehen kannte, und andere, die ich gut genug kannte, um mit ihnen zu sprechen. Aber es gab immer viel netter aussehende Leute, die ich nicht kannte, die am Abend, wenn die Laternen gerade angezündet wurden, irgendeinem Lokal zueilten, um miteinander zu trinken, miteinander zu essen und dann miteinander ins Bett zu gehen. Die Leute in den Hauptcafés mochten das gleiche tun, aber sie mochten auch nur dasitzen und trinken und sich unterhalten und sich von anderen gern anschauen lassen. Die Leute, die mir gefielen, und die ich nicht kannte, gingen in die großen Cafés, weil sie sich in ihnen verloren und niemand sie beachtete, und sie konnten dort allein und zusammen sein. Damals waren die großen Cafés auch billig, und alle hatten gutes Bier, und die Apéritifs hatten vernünftige Preise, die deutlich auf den Untertassen, auf denen sie serviert wurden, angegeben waren.
    An diesem Abend dachte ich diese gesunden, aber unoriginellen Gedanken und fühlte mich außerordentlich tugendhaft, weil ich gut und schwer an einem Tag gearbeitet hatte, an dem ich schrecklich gern zum Rennen gegangen wäre. Aber zu der Zeit konnte ich mir nicht leisten, zum Rennen zu gehen, obschon man dort Geld machen konnte, wenn man sich ernsthaft damit beschäftigte. Es war vor den Tagen der Speichelanalysen und anderer Methoden, um künstlich aufgekäscherte Pferde zu entlarven, und Dopen war ein sehr gebräuchliches Verfahren. Aber das Handicap der Tiere abzuschätzen, die Drogen bekamen, und auf dem Sattelplatz die Symptome festzustellen und nach deinen Wahrnehmungen zu handeln, die manchmal ans Übersinnliche grenzten, dann auf die Pferde Geld zu setzen, wo du dir nicht leisten konntest, es zu verlieren, das war nicht der Weg, auf dem ein junger Mann - der eine Frau und ein Kind zu erhalten hatte -, in seinem Ganztagsberuf, Prosa schreiben zu lernen, vorankommen konnte. An jedem Lebensstandard gemessen waren wir noch sehr arm, und ich machte kleine Ersparnisse, indem ich sagte, ich sei zum Mittagessen eingeladen, und dann zwei Stunden in den Gärten des Luxembourg spazierenging und, wenn ich nach Hause kam, meiner Frau das fabelhafte Mittagessen beschrieb. Wenn man fünfundzwanzig ist und ein Schwergewichtler von Natur, macht einen der Ausfall einer Mahlzeit sehr hungrig. Aber es schärft auch alle Sinneswahrnehmungen, und ich fand, daß viele der Leute, über die ich schrieb, einen sehr starken Appetit hatten und großes Verständnis und Verlangen nach Essen, und die meisten freuten sich bereits auf einen Drink.
    Im Nègre de Toulouse tranken wir den guten Cahors aus viertel, halben oder Literkaraffen und verdünnten ihn gewöhnlich zu einem Drittel mit Wasser. Zu Hause über der Sägemühle tranken wir einen korsischen Wein, der sehr blumig und billig war. Er war sehr korsisch, und selbst zur Hälfte mit Wasser verdünnt blieb er fruchtig. In Paris konnte man damals beinahe umsonst leben, und wenn man gelegentlich eine Mahlzeit ausließ und niemals neue Kleider kaufte, konnte man sparen und sich Luxusdinge leisten.
    Ich kam vom Select, wo ich beim Anblick von Harold Stearns abgebogen war, der, wie ich wußte, über Pferde reden wollte. Über jene Tiere, an die ich selbstzufrieden und leichten Herzens als an die Biester dachte, denen ich gerade abgeschworen hatte. Meiner abendlichen Tugend voll, ging ich an der Kollektion der Rotonde-lnsassen vorbei, verachtete Laster und Herdeninstinkt und überquerte den Boulevard zum Dôme. Das Dôme war auch überfüllt, aber dort saßen Leute, die gearbeitet hatten. Dort gab es Modelle, die gearbeitet hatten, und dort gab es Maler, die gearbeitet hatten, bis das Licht schwand, und dort gab es Schriftsteller, die ihr Tageswerk wohl oder übel beendet hatten, und dort gab es Säufer und Typen, von denen ich manche kannte, und manche waren auch nur Dekoration.
    Ich ging hinüber und setzte mich an einen Tisch zu Pas ein und zwei

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