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Paris ist eine Messe wert

Paris ist eine Messe wert

Titel: Paris ist eine Messe wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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unerbittlich die Florentinerin den unglücklichen Prinzen verfolgt hatte, seit Nostradamus in ihrem Beisein die Prophezeiung sprach: »Er wird das ganze Erbe antreten.« Welches man ihm, nach Katharinas Tod, aber noch immer bestritt.
    Am folgenden Sonntag ging ich zur Messe in Notre-Dame, unserer Pariser Liebfrauenkirche, denn dort, hieß es, würde Pfarrer Boucher, der Erzligist, eine wichtige Predigt halten. Welche ich denn eine volle Stunde mit Engelsgeduld ertrug, ohne anderes darin zu finden als die übliche blutrünstige Gewalt. Nur am Schluß seines fiebrigen Redekatarakts sprach Boucher, wie überall angekündigt, im Namen der Stadt Paris ein feierliches Gelübde, nämlich, wenn die Belagerung enden würde, Unserer Lieben Frau von Lorette eine Lampe und ein |234| Schiff aus Silber, dreihundert Marcs 1 schwer, in Dankbarkeit zu spenden dafür, daß sie kraft ihrer Fürsprache bei ihrem göttlichen Sohn die Befreiung der Stadt erwirkt haben würde. Ein Gelübde, das mein hugenottisches Gewissen empörte, weil es nach meinem Dafürhalten doppelt heidnisch war: Erstens, weil es unterstellte, daß Unsere Liebe Frau von Lorette sich größeren Einflusses auf die Ratschlüsse des Himmels erfreute als Unsere liebe Frau von Paris. Und zweitens, weil es behauptete, man könnte die Jungfrau Maria mittels Bestechung für die Verteidigung der Hauptstadt begeistern. Dennoch hatte dieses schon vorher mit Fanfarenstößen verkündigte Gelübde einen gewaltigen Erfolg beim Volk, es strömte aus allen Vierteln der Stadt nach Notre-Dame und füllte die Kirche in solchem Maß, daß sie nicht alle fassen konnte. Was aber das versprochene Geschenk betraf, so dachte nach dem Ende der Belagerung niemand mehr daran, und die arme Liebe Frau von Lorette durfte sich die Nase wischen. So sind die Menschen. Sie betrügen selbst ihre Götter und Göttinnen.
    Nicht lange, nachdem Boucher Unserer Lieben Frau von Lorette jenes feierliche Gelübde geleistet hatte, sah ich in den verschiedenen Pariser Vierteln zum erstenmal Hungerleichen auf dem Pflaster liegen, reiche wie arme. Zuerst wenige, doch wurden es im Lauf der Tage immer mehr, und wegen des Gestanks rekrutierte La Chapelle-Marteau wie zu Pestzeiten Totengräber, um sie einzusammeln und in Massengräber zu werfen, sofern sie von den Familien nicht eingefordert wurden, die oft aber schon selber gestorben waren oder im Sterben lagen. Und war die Hauptursache dieser Tode auch der Hunger, gab es doch nicht wenige, die auf verderbliche Nahrung zurückzuführen waren, oder auf Krankheiten, die in den geschwächten Körpern allzu leichtes Spiel hatten.
    Unter besagten unheilvollen Nahrungsmitteln stand an erster Stelle das Totenbrot oder, wie die Pariser sagten, das Montpensier-Brot, weil die Herzogin es empfohlen hatte. Doch gab es andere. So entsinne ich mich, daß ich Mitte Juli, als ich zum Treffen mit Franz ging, einen Alten auf dem Trittstein vor seinem Torweg sitzen sah, der Schiefer in einem Mörser stampfte. |235| Auf meine Frage, was er da tue, antwortete er mit ersterbender Stimme, wenn er den Schiefer zu Pulver zerstampft habe, rühre er dies mit Wasser an und esse es. Ich fragte, ob er versucht habe, Lichttalg zu essen.
    »Ach, Monsieur!« sagte er, »ich habe alles versucht, auch Brennesseln, die, gut gekocht, nach Spinat schmecken. Aber man findet in der Hauptstadt keine einzige mehr. Und was die Talglichte anlangt, davon haben wir soviel gegessen, daß sie rar geworden sind und daß zehn Stück mittlerweile vier Ecus kosten.«
    »Guter Mann«, fragte ich, »schmerzt dich das Schiefermehl, das du stampfst, nicht im Magen?«
    »Schrecklich schmerzt es, Monsieur, aber besser Schmerzen im Magen als gar nichts.«
    Ich gab ihm ein Stück Brot, das ich in der Hosentasche hatte, doch verstohlen und indem ich mich zuerst umsah, um nicht von Passanten oder Passantinnen angefallen zu werden, denn der Hunger hatte besonders die Pariserinnen rabiat gemacht, sie verkauften sich für ein Stück Brot.
    Es war gute zehn Tage her, seit Franz mir Wichtiges hatte mitteilen können, an diesem Mittag aber, als ich den Alten in seinem Mörser Schiefer stampfen sah, erkannte ich schon an Franzens Augen, daß er mir etwas über die Hinkefuß zu vermelden haben würde, das mich für die paar Nahrungsmittel, die ich ihm täglich brachte, voll entschädigte.
    »Ha, Monsieur!« sagte er leise, sowie er meine Gabe in seiner Hosentasche versenkt hatte, »was glaubt Ihr, was ich heute morgen durch eine

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