Paris ist eine Messe wert
sagte ich.
»Ha!« sagte Bellegarde, »könnte ich im Wissen, was ich weiß, die Zeit doch zurückdrehen und noch einmal mit La Guesle und dieser Ausgeburt der Hölle im Garten sein! Meine scharfsichtigen Augen würden mir seine Absichten verraten, und ich würde ihn auf der Stelle niederstechen. Aber ich war so blind wie alle anderen auch, und als Du Halde kam und sagte, Seine Majestät sei erwacht, eilte ich mit ihm hinauf und öffnete die Vorhänge, nicht ohne eine gewisse Feierlichkeit in meine Gesten zu legen, denn damit beginnt für meinen König der Tag, und wie jeden Morgen fragte ich, wie es Seiner Majestät gehe. Worauf er fröhlich erwiderte, es gehe ihm wunderbar, so entzückte ihn der Gedanke, nach Paris und in den Louvre heimzukehren. Und zu Du Halde, der ihm nach mir (so will es die Etikette) dieselbe Frage stellte, sagte er scherzend: ›Gut, Du Halde, gut! Und noch besser, wenn du mir meinen durchbrochenen Stuhl bringen läßt.‹
|102| Was Du Halde zwei Lakaien zu tun befahl. Und weil der König sich nackend darauf setzte, weil er im Sommer auch so schläft, legte ihm Du Halde ein Morgengewand um die Schultern und brachte ihm die
Essais
von Montaigne, in denen der König morgens, auf dem Stuhl, einige Seiten zu lesen pflegt, weil ihm das für den Rest des Tages Lust an der Vernunft und an guter Sprache gibt. ›Du Halde‹, sagte er, ›ruf diesen Mönch, den La Guesle mir bringt. Ich habe versprochen, ihn als ersten vorzulassen.‹
Du Halde holte La Guesle und besagten Mönch herauf und hieß beide auf dem Gang bei den ›Fünfundvierzig‹ warten, weil er Heinrichs Lektüre nicht unterbrechen wollte. Dieser hatte sie aber schon erspäht, gab Du Halde das Buch zurück und verlangte, daß man den Besucher hereinführe.
An der Schwelle indes hielt der Prokurator La Guesle den Jakobiner durch ein Handzeichen auf, damit er nicht so ohne weiteres vor den König trete, nahm ihm den Paß und den vermeintlichen Brief von Präsident Du Harlay aus der Hand und überbrachte besagte Papiere dem König, der sie aufmerksam las, den Brief des Gerichtspräsidenten sogar zweimal, wie ich sah.
›La Guesle‹, sagte Seine Majestät, ›laßt den Jakobiner nähertreten.‹
Was La Guesle tat, doch indem er sich zwischen den Mönch und den König stellte. Und was mich anging, so stand ich auf der anderen Seite, zu Heinrichs rechter, meine ich, was bei solchen Audienzen mein gewöhnlicher Platz ist.
›Nun, mein Freund‹, fragte der König, ›was habt Ihr mir zu sagen?‹
›Sire‹, sagte der Mönch mit fester, aber leiser Stimme, ›daß der Gerichtspräsident sich wohl befindet und Euch die Hände küßt. Und dann, was ich Seiner Majestät allein wiederholen möchte, nur für seine Ohren, eine Botschaft, die er mir aufgetragen hat.‹
›Was soll das?‹ rief La Guesle entrüstet, ›redet offen, mein Freund! Hier ist keiner, dem Seine Majestät nicht vertraut!‹
Seine Worte brachten den Jakobiner aber keinen Deut ins Wanken, er schüttelte den Kopf und sagte in unterwürfigem Ton, mit gesenkten Augen, das seien die Instruktionen, die er erhalten habe, davon weiche er nicht ab, er werde zum Ohr Seiner Majestät sprechen oder gar nicht.
|103| Angesichts dessen und weil er ersichtlich entschlossen war, nicht nachzugeben, sagte der König mit seiner üblichen Nachgiebigkeit, man solle doch tun, was der Frater wünsche. Und mit der Hand, noch immer auf seinem Stuhl sitzend, nackend und nur das Morgengewand um die Schultern, bedeutete er mir, zurückzutreten. Ebenso zu La Guesle, der gleichfalls zurücktrat, doch widerwillig auch er und nur einen Schritt, weil wir das Gebaren dieses Mönchs als kränkend empfanden.
Der Jakobiner trat also an meinen Platz zur Rechten Seiner Majestät, dieser bedeutete ihm, sich herabzubeugen, und als der Mönch sein Ohr neigte, hörte ich den König diesen Unhold fragen, ob er noch andere Briefe für ihn habe, die er vorher nicht habe zeigen wollen. Die Antwort des Mönches hörte ich nicht, doch sah ich, daß er mit der rechten Hand in seinem linken Ärmel wühlte, und ich dachte, er hätte sie darin versteckt und wolle sie hervorziehen, um sie dem König zu überreichen. Da aber machte er eine jähe Bewegung in Richtung des Königs, und der König schrie auf: ›Ha! Mein Gott!‹ und fuhr von seinem Stuhl hoch. Und nun sah ich den schwarzen Messergriff im Bauch des Königs stecken, aus welchem das Blut in Strömen schoß, und der König blickte wie verblüfft auf den
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