Paris ist eine Messe wert
rundweg ab. Die Stute, sagte er, sei meine Kriegsbeute, samt dem Sattel. Und weil der Erlös der Stute mir weitere fünfhundert Ecus einbrachte, fühlte ich mich hinreichend ausgestattet, die Belagerung von Paris durchzustehen.
In einem Wald hinter Mantes ließ ich die Kutsche halten und legte die Händlertracht an, die Alizon mir für meine Mission in |185| Boulogne hatte machen lassen, ebenso schlüpften Miroul, Pissebœuf und Poussevent in ihre Verkleidungen, letztere nur widerwillig, weil sie an ihren gelb-roten Livreen mehr hingen als ein Baron an seinem Reif. Als wir in Châteaudun eintrafen, war es schon finster, die Straßen verlassen, und ich klopfte ans Tor der wiedervermählten schönen Kaufmannswitwe, indem ich mir eine Laterne ans Gesicht hob, um mich der Hausmagd als Coulondre, Tuchhändler aus Mantes, vorzustellen. Sie ging ihre Herrin holen, die zuerst ganz fassungslos war, vielleicht, weil sie mich nach meinem Aufzug für einen Wildfremden hielt, bis sie mich an meiner Stimme erkannte, worauf sie der Magd gebot, die Kutsche in den Hof einzulassen.
Kaum mit mir allein in ihrem Zimmer und ohne mich nach dem Grund für meine Verwandlung zu fragen, brach die schöne Kaufmannswitwe in Tränen aus und teilte mir die traurige Neuigkeit vom Tod ihres zweiten Gemahls mit, der acht Tage nach der Hochzeit am Schlagfluß gestorben war. Jetzt bemerkte ich auch, daß sie von Kopf bis Fuß in Schwarz ging (was ihr übrigens wunderbar zu Gesicht stand). Und ich sagte ihr, wie sehr es mich betrübe, ihre Trauer durch meine ungelegene Anwesenheit zu stören.
»Ach, Monsieur!« sagte sie stockend, indem sie mich aus ihren tränennassen Goldaugen ansah, »ganz im Gegenteil! Ihr rettet mich. Wenigstens für die Zeit, die Ihr bei mir verweilt, denn ich ertrage die Leere nicht, in der ich seit dem Hinscheiden des besten Mannes versinke, ja ich wollte meinem Leben schon ein Ende setzen. Deshalb habe ich auch all meine Leute fortgeschickt und nur die Alte, die Euch öffnete, hierbehalten.«
»Ha, Madame!« rief ich, indem ich mich ihr zu Füßen warf und ihre Hände ergriff, »was höre ich! Die Hand an Euer süßes Leben legen, welch eine Sünde! Wißt Ihr nicht, daß die Kirche Selbstmörder bestraft und ihnen die Friedhofserde verweigert?«
»Ach, was kümmert es mich!« sagte sie und weinte noch mehr, »mag aus meiner sterblichen Hülle werden, was will, habe ich sie nur erst abgeworfen. Und es verschlägt mir auch nichts«, fuhr sie leidenschaftlich fort, »wenn ich verdammt bin, fürchte ich doch, daß mein armer Geliebter es selber ist, weil er binnen eines Wimpernschlags starb, ohne Beichte, ohne Kommunion, und sozusagen in voller Sünde, denn er hatte sich |186| gerade mit mir den köstlichsten Wonnen ergeben, und ich bezweifle, daß die Kirche solches billigt.«
»Madame!« sagte ich, »laßt solche bitteren Gedanken! Was wissen denn wir von der Gerechtigkeit des großen Richters im Himmel, noch niemand ist von dort zurückgekehrt, uns zu sagen, wie es damit steht. Lebt, Madame, lebt! Ihr seid zu jung und zu schön, als daß Ihr der Welt das Privileg rauben dürftet, sich an Eurem Anblick zu erfreuen!«
»Ha, Monsieur, Ihr sprecht wie Honigseim! Und wenn ich Euch lausche, dünkt mich, ich hörte meinen Gemahl. Oh, mein Gott! Süßer Jesus! Gebenedeite Jungfrau!« fuhr sie, von Schluchzen geschüttelt, fort, »warum mußte er mir so schnell entrissen werden!«
Hiermit sank sie in Ohnmacht und wäre zu Boden gefallen, hätte ich sie nicht in meinen Armen aufgefangen und zu ihrem Lager getragen. Ich bemühte mich, sie zu beleben, indem ich ihr die Krause abnahm und das Mieder aufhakte, sah aber, daß sie darunter einen sehr eng gezurrten Schnürleib trug, an den ich lieber nicht rühren wollte, denn war ich auch Arzt, scheute ich mich doch, sie weiter zu entkleiden, und gab ihr stattdessen ein paar Klapse auf die Wangen. Als die aber nichts bewirkten, drehte ich sie nun doch auf den Bauch und löste den Schnürleib, der ihr offensichtlich die Luft benahm. Ich drehte sie wieder auf den Rücken, da schien sie schon leichter zu atmen, und als ich mein Ohr an ihre linke Brust legte, hörte ich ihr Herz kräftiger pochen, als ich befürchtet hatte. Also dachte ich, sie sei von der Ohnmacht durch das Übermaß ihres leidenschaftlichen Grams unmerklich in den Schlummer hinübergeglitten, entledigte sie aller übrigen Kleider und deckte sie zu, denn für Ende März war es ein kühler Abend und das Zimmer ungeheizt.
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