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Paris ist eine Messe wert

Paris ist eine Messe wert

Titel: Paris ist eine Messe wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Merle Robert
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Ich wollte ihr das Kissen unter den Kopf schieben, da traf meine Hand auf einen Dolch, den ich sogleich aus seinem Versteck zog, und bei näherer Betrachtung im Kerzenschein sah ich, daß er zwar klein, aber sehr spitz und scharf war und seiner düsteren Bestimmung durchaus genügen würde.
    Ich ließ ihn an seinem Platz, doch in dem Vorsatz, ihn vor meiner Abreise an mich zu nehmen, denn wer wollte dafür bürgen, daß sie, wieder allein, in ihrer Verzweiflung nicht doch zum Äußersten schritte. Weil sie jetzt aber ruhig schlummerte, machte ich mich auf durch das stille Haus, um nach meinen |187| Leuten zu sehen, und fand sie von Raum zu Raum alle drei gut gebettet in klaftertiefem Schlaf. Auch die Alte schlief in ihrem Kämmerchen, das zum Hof ging, wo meine ausgespannte Kutsche mit den Deichseln auf dem Pflaster ruhte. Ich schritt auf besagten Hof hinaus – die Nacht war frisch und hell, weil der lieblich gerundete Mond durch die Wolken sah –, um meine Pferde zu besuchen, da standen sie Kopf an Kopf und schliefen friedevoll im Stehen, wie es ihnen eigen ist. Weil aber eins sich bei meinem Nahen regte – haben Pferde doch einen leichteren Schlaf als wir –, kehrte ich um, wanderte wieder von Raum zu Raum und gelangte zurück ins Zimmer der schönen Kaufmannswitwe: Da saß sie auf in ihrem Bett, mit nacktem Busen, maßlosem Kummer im Gesicht und dem kleinen Dolch in der Hand.
    »Ach, Monsieur!« sagte sie mit gebrochener Stimme, »ich dachte, Ihr hättet mich auch verlassen!«
    »Madame«, sagte ich, indem ich eilends zu ihr lief, »was ficht Euch an! Ich Euch verlassen? Vertraut Ihr meiner zärtlichen Freundschaft denn so wenig?«
    »Ha, mein Pierre«, sagte sie, während sie sich entwaffnen und wie ein braves Kindlein betten ließ, »ist es denn wahr, daß Ihr noch immer Freundschaft für mich hegt, obwohl ich Euch bei Eurem letzten Besuch so garstig empfing?«
    »Glaubt Ihr denn, Madame«, sagte ich, indem ich den Dolch beiläufig auf ihr Kissen legte, um zu zeigen, daß ich ihre selbstmörderische Absicht nicht allzu ernst nahm, »glaubt Ihr denn, ich könnte Euch grollen, daß Ihr so verliebt wart in Euren Herrn Gemahl? Wenn ich dieses Zimmer soeben verließ, so nur, um mich des Wohlbefindens meiner Leute zu versichern. Doch da bin ich wieder«, sagte ich, indem ich mir einen Lehnstuhl heranzog, »und werde hier die ganze Nacht an Eurem Bett wachen.«
    »Mein Pierre«, sagte sie, auf einen Ellbogen gestützt und neuerdings in Tränen zerfließend, »ich bin von Eurer wunderbaren Güte tief gerührt. Aber ich werde es nicht dulden, daß Ihr die Nacht in diesem Lehnstuhl verbringt und morgen vielleicht krumm und lahm seid. Bitte, Pierre, kommt an meine Seite, dann schlafen wir Hand in Hand, ganz keusch wie Bruder und Schwester.«
    Ich wehrte ab, sie beharrte, und obwohl ich meiner weniger |188| sicher war, als sie es ihrer zu sein schien, wechselte ich von dem harten Sitz, der nicht einmal gepolstert war, bald auf ihr weiches Lager hinüber.
    Ich weiß bis heute nicht, was ich von jener Nacht denken soll, die durchaus nicht verging, wie die schöne Kaufmannswitwe gesagt hatte. Doch weil sie die ganze Zeit kein Wort sprach und ihre schönen Augen – wie ich im Schein des Nachtlichts sah – geschlossen blieben, wird mir auch bis ans Ende der Zeiten unklar bleiben, in welchem Grad von Einverständnis sie mit sich selber war, als sie mich nahm wie einen Traum. Freilich einen sehr unglaubhaften Traum, kehrte er doch in den folgenden Nächten immer wieder. Was aber weder in deren Verlauf die leiseste Erwähnung fand (die einzigen Laute, die wir von uns gaben, entsprangen unserem keuchenden Atem), noch auch am Tag, zumal ich acht hatte, stets vor ihr auf und angekleidet zu sein, sie zeremoniös »Madame« anzureden, wie sie mich »Monsieur«, und so hütete ich mich, das Schweigen zu brechen, in dessen tiefem Brunnen wir beharrlich die offenbare Wahrheit versenkten.
    Ich leugne nicht, daß die köstliche Heuchelei von großem Zauber war, und weil diese Erinnerung wie auch alle, die sie mir schenkte, mir unendlich teuer sind, wünschte ich, daß der Leser meine schöne Kaufmannswitwe und die Schwäche, der sie durch ihren unmäßigen Kummer anheimfiel, nicht allzu streng verurteile. Was mich angeht, so will ich an meiner bleibenden Ungewißheit auch nicht rütteln noch mich zum Richter aufschwingen über unsere anfällige Natur, denn sind wir, wie die Heilige Schrift sagt, nicht aus Lehm gemacht, der so leicht

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