Pariser Bilder
hatte.
Als sie keinen Pfennig mehr besaß, forderten Ficelle
und seine Frau sie auf, bei ihnen Wohnung zu nehmen, wo man sie dann in die Knechtschaf zwang. Das ist der Grund, glaubt man in der Nachbarschaf, warum Ficelle ein Synonym für einen Gauner und durchtriebenen Schelm geworden ist.
Seltsames Betragen einer großen Dame
Seltsames Betragen einer großen Dame. – Es vergeht keine Stunde, ohne daß die Marquise von T. sich nicht drei oder vier Mal mit den Fingerspitzen ihrer linken Hand über den Mund streicht, um sie mit ihrem Speichel zu befeuchten, bevor sie sich mit den gleichen Fingerspitzen abwechselnd über ihre Brauen und das streng gescheitelte Haar fährt, die sie mit diesem Balsam salbt und glättet.
Diese Geste, die sie unauffällig, mit einer gewissen Anmut, ausführt, während sie gleichzeitig spricht und einen herausfordernd ansieht, wäre nicht ohne Reiz, wenn nicht etwas Widriges, Abstoßendes darin läge. Anderseits hat man es mit einer so intelligenten und im höchsten Grade auf ihre Distinktion bedachten Person zu tun, daß man sich fragt, ob darin nicht eine Art Affektiertheit, etwas Gewölkes liegt, die Absicht vielleicht, eine Manie zu imitieren, von der in den Chroniken aus der Zeit Ludwigs XIV. berichtet wird, die sie häufig und gerne liest, die Manie vielleicht einer berühmten adeligen Schönheit, einer aus fürstlichem, ja wer weiß aus königlichem Blute.
Madame Giverneau
Man war des Glaubens, er mache sie unglücklich, und nun, kaum ist der Gemahl gestorben, der ihr ein Vermögen vermacht hat, geht sie hin und läßt über seinem Grabe eine prächtige Kapelle aus schwarzem Marmor errichten, weniger um dort zu beten als um einen bequemen Sessel gegenüber ihrer beider Bildnis in ganzer Figur aufzustellen, wie sie als Brautpaar an ihrem Hochzeitstag aussahen, sie und Giverneau, und tagaus, tagein kommt sie nachmittags, dort ihr Schläfchen zu halten, zu lesen, zu stricken. Um sich nicht von weither bemühen zu müssen, hat sie zuerst ein kleines Haus m der Nähe des Friedhofs von Pantin gekauf, aber da die Beine ihr bald den Dienst versagten, hat die gnädige Frau heute ihre Equipage, ein Pferd und einen Wagen, dessen Laternen mit schwarzem Flor umwunden sind, und jeden Tag, um zwei Uhr, wird die gleiche Reise angetreten.
»Aber um einen solchen Aufwand zu bestreiten«, fragte ich, »muß Herr Giverneau doch mindestens Minister gewesen sein?«
»Keineswegs«, war die Antwort, »er hatte nur in etwa fünfzig Pariser Metzgereien sein Geld stecken.«
Unsere Nachbarn
Herr und Frau X…. unsere Nachbarn, sehr reich, leben abgeschlossen von aller Welt. Er verbringt den Nachmittag damit, in dem kleinen Viereck, das der Treppenabsatz des ersten Stocks bildet, im Kreise zu wandern und unauförlich, stundenlang, vor sich hinzusprechen: »Ich langweile mich, ich langweile mich«, bis der Ärger seine Frau ihrerseits auf den Treppenabsatz des zweiten Stocks heraustreibt, wo sie die gleiche Runde im Gegensinn zu wandern beginnt und dabei vor sich hin murmelt: »Ich langweile mich nicht, du langweilst mich.« Und diese Art des Konjugierens währt so lange, bis Madame fünf Stufen herabund Monsieur fünf Stufen hinaufsteigt. Wenige Schritte voneinander entfernt, schauen sie sich an, schneiden eine Fratze, als spuckten sie einander ins Gesicht, worauf jeder in sein Bett zurückkehrt.
Der gefühlvolle Briefräger
Heute abend hörte man aus einem offenen Fenster eine Romanze. Kommt der Briefräger vorbei. »Ach! wie schön ist das, Monsieur!« – »Sie sind fürs Gefühlvolle, Herr Briefräger?« – »Ja, Monsieur.« – »Dann werden Sie leiden.« – »Ach! Monsieur, es ist schon soweit. Ich leide.« – »Was ist Ihnen zugestoßen?« – »Nun, so hören Sie meine Geschichte: ich habe eine Frau geheiratet, die zu schön für mich war, und sie hat mich um eines andern willen verlassen, der schöner ist als ich. Und ich liebe sie immer noch, und wir haben ein Kind, ein Jahr und acht Monate alt, das sie mitgenommen hat.« – »Sie wird zurückkehren.« – »Nein. Ach, wenn ich das geahnt hätte. Ich hätte nicht zulassen sollen, daß sie in Stellung ging im ›Touriste‹, auf der Avenue de la Grande-Armee. Da nahm denn das Schicksal seinen Lauf. Wenn Sie übrigens dort vorbeikommen, gehen Sie hinein. Sie bedient an der Teke. Eine schöne Person. Sie werden sehen. Unwiderstehlich.« Er setzt seinen Weg fort.
Anderntags treffe ich ihn zwanzig Meter vom »Touriste«
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