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Pariser Bilder

Pariser Bilder

Titel: Pariser Bilder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Jouhandeau
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nachmittag, gegen zwei Uhr, wie ich auf dem Wege zu meinem Unterricht den Square Alboni überquere, höre ich jäh einen lauten Schrei zwischen Himmel und Erde, dem hundert Schreie ringsum antworten. Gleichzeitig hebe ich die Augen: längs eines Mietshauses von sieben Etagen, dessen Dach repariert wurde, wirbelte etwa in Höhe des vierten Stocks eine Wolke von Bauschutt, aus der sich nach und nach eine menschliche Gestalt herauslöste, und ich hatte mich noch kaum gefaßt, als, wenige Schritte vor mir, ein Mann auf den Gehsteig schlug. Schon war er von Leuten umgeben, als ich näherkam. Man versuchte, ihn aufzuheben. Unmöglich. Sämtliche Knochen waren zerschmettert, die Wirbelsäule überall gebrochen; das war kein Körper mehr, was wir da vor uns hatten, nicht einmal ein Leichnam oder ein zerfetzter Rest, sondern etwas wie ein Gallert, der sich ausbreitete, eine klebrige Masse, die unter den Kleidern zerfloß. Die Augen aber öffneten sich, schlössen sich, öffneten sich abermals, als ob sie allein weiterlebten, und der Mund stammelte etwas, aber keine Worte, nur Blut kam daraus hervor.
    Der Baustellenleiter war näher getreten. Er erklärte, daß der Mann drüben im Grenelle-Viertel wohne. Ein Brett des Gerüstes, das man befestigt geglaubt hatte und das schwankend geblieben war, hatte unter seinen Füßen sich überschlagend nachgegeben, und nicht sehr weit entfernt räumte eine Frau noch den

    Tisch ab, an dem sie soeben ihre letzte gemeinsame Mahlzeit eingenommen hatten.

    Reisevorbereitungen

    Gestern morgen erschien unter unseren Fenstern ein Mann, dessen Gestalt in unserer Gegend mir schon seit langem aufgefallen war; er ließ sich jenseits des Bahndamms nieder, wo er sich der Untersuchung eines schwierigen Problems widmete. Er plante wohl eine weite Reise und wollte, so dachte ich, ehe er sie antrat, sein Gepäck erleichtern. Neben ihm zur Linken ein Tuchsack, zur Rechten ein Koffer; bald dieses, bald jenes Stück zog er daraus hervor, um es anscheinend auf seine Unentbehrlichkeit zu prüfen. Von weitem konnte ich keinen dieser Gegenstände recht erkennen, aber es waren geringfügige Dinge: deutlich sah ich nur, daß ein rotes Halstuch und ein Paar Schuhe dabei waren. Nachdem er seine Musterung beendet und den Sack in dem Koffer untergebracht hatte, schien, als er sich zum Aufruch anschickte, das, was er zurückließ, einen großen Wert in seinen Augen zu gewinnen: mehrmals wandte er sich um, ehe er sich losriß, und endlich sah ich ihn ins Gelände davonwandern, wo er sich alsbald in einem eisernen Armstuhl niederließ: dort, sein aufgeschlagenes Necessaire in Reichweite, begann er nun, Toilette zu machen, mit dem gleichen Ernst wie eine große Kokette vor ihrem Frisiertisch. Nachdem er die Haare mit Hilfe einer Gabel in Ordnung gebracht hatte, bediente er sich einer Zahnbürste, um den Staub von Hut und Mantelkragen zu entfernen. Dann zog er aus einer Tasche ein Fläschchen und einen kleinen Lappen, um seine Weste von Flecken zu säubern. Jetzt kamen die Nägel an die Reihe, die er sich mit einer Schneiderschere von einem halben Meter Länge stutzte
    Es versteht sich, daß ich, neugierig wie eine Katze, kaum daß er sich davongemacht hatte, die Böschung aufsuchte, wo er etwas hinterlassen hatte, und dort iand ich – die Reste einer Puppe: ihre Perücke, ihre Glasaugen und zwei Händchen aus rosigem Porzellan.

    Schlägerei

    Wir wollten das Wochenende bei den A.‘s verbringen. Es war sechs Uhr abends, und sie fuhren uns hinaus. Unterwegs, auf dem Boulevard Beaumarchais, steigen sie aus, um noch etwas einzukaufen, und lassen uns beide in ihrem Wagen, Elise und mich. Kaum waren sie uns aus den Augen, als einige Schritte entfernt, auf dem Gehsteig, zwei Männer sich verprügelten, ohne daß zu erkennen gewesen wäre, ob es im Ernst oder zum Scherz geschah. In ihrem Gesichtsausdruck lag jedoch etwas Beunruhigendes, das wie Wut aussah, eine Wut, die, hie und da aussetzend, bei einem gewitzteren und kühleren Beobachter, als wir es waren, vielleicht den Verdacht geweckt hatte, daß sie nicht ganz echt war; sie hatte etwas Mechanisches an sich. Befremdlich war, daß dieser seltsame Zweikampf, der da auf dem Gehsteig ein wenig wie auf einer Bühne stattfand, niemand ringsum zu interessieren schien. Die Passanten setzten ihren Weg fort, als wäre nichts los, als wären wir die einzigen, für die diese Kämpfer sichtbar waren. Nach und nach steigerte ihr gegenseitiger Zorn sich zum Paroxysmus. Die

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