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Pariser Bilder

Pariser Bilder

Titel: Pariser Bilder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marcel Jouhandeau
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unfehlbar aufauchen, immer gleich heiter, häßlich genug, aber eins dem andern so nah und immer derart sich selber gleich, in ihrem Gang wie seit aller Ewigkeit auf eine innere Musik abgestimmt, die nur ihnen vernehmbar ist, doch deren heimliche Süße ich aus ihrem Wiegen und Wanken errate. Etwas kleiner als sie, neigt er ein wenig den Kopf und lehnt ihn fast an ihre Schulter, die sie leicht senkt, damit er ihr was ins Ohr sagt, als ob sie sich immer noch etwas mitzuteilen hätten, nach so langer Zeit.

    Der Apotheker an der Place Saint-Ferdinand

    Der Apotheker an der Place Saint-Ferdinand: »Ob Sie es mir glauben oder nicht, Monsieur: mitten in Paris kann of ein halbes Jahr vergehen, ehe ich ein neues Gesicht sehe. Es gibt kein abgeschlosseneres Dorf in ganz Frankreich als dieses Viertel. Die Place Saint-Ferdinand ist ein Loch, und die Clochards hier auf ihren Bänken haben genauso ihre Gewohnheiten und Ansprüche wie die Bürger auf ihren Baikonen. Kommen Sie nur ja nicht auf den Gedanken, sich etwa auf einem Platz niederzulassen, den dieser oder jener seit Ewigkeit für sich reserviert hat, oder Sie setzen sich einem wüsten Geschimpfe aus. Es gibt hier eine alte russische Gräfin, die allmorgendlich, werktags wie sonntags, dem Zeitungsstand gegenüber thront, um dort Papierrosen zu verkaufen, die sie selber herstellt. Von zehn bis vierzehn Uhr, das ist ihre Zeit. Dann ist ein Blinder an der Reihe, den seine Frau nachmittags ausführt, damit er ein bißchen frische Luf schnappt. So folgen sie aufeinander, jeder hat seine Freunde, seine Antipathien, seine Verbündeten, seine bevorrechteten Lieferanten. Sie treffen ihre Übereinkünfe, um sich von uns Kaufleuten allerlei Vergünstigungen und Vorteile zu verschaffen, die wir ihnen dann unwiderruflich als unsere Schuldigkeit zu entrichten haben.«

    Dreißig junge Blinde

    Dreißig junge Blinde zwischen sechzehn und zehn Jahren (ich habe sie gezählt) marschieren Hand in Hand im Gänsemarsch auf die Fußgängerbrücke des Bahnübergangs von Passy zu, im Schlepptau eines kleinen Paters vom Orden des heiligen Johannes von Gott in langem flachem Schuhwerk, der allein für sie alle Augen hat. Welche Sarabande! Gleichsam dreißig Nächte unterwegs! Als sie im vollen Licht erscheinen, auf dem Rücken der Brücke, die in die Lüfe steigt, um sie uns wie auf einer Estrade zu zeigen, möchte man sie alle für betrunken halten oder glauben, sie wären plötzlich verrückt geworden; die einen stolpern, die anderen tanzen fratzenschneidend wie die kleinen Teufelchen, die man auf Jahrmärkten in einer Wasserrohre schweben sieht. Das Schauspiel ist so seltsam, daß die Leute vor Verwunderung stehenbleiben, und die Sonne, die eben aufsteigt (es ist frühmorgens), scheint ebenfalls einen Augenblick innezuhalten, um sie vorbeiziehen zu sehen. Freilich, da sie sich nicht vorstellen können, was das heißt: sehen und gesehen werden, wie sollten sie darauf achten, ihren Gesichtsausdruck zu überwachen, ihre Bewegungen zu bändigen? Daher dann diese befremdende Anarchie der Gesichter, dieses Durcheinander ihrer Mienen, dieses wilde Gefuchtel, diese stockenden Schritte, deren Verstörtheit vor allem deshalb so auffällig war, weil sie zu mehreren waren. Der Größte hielt mit der linken Hand die Schulter des Paters umklammert, der den Takt angab, und seine Anordnungen wurden von Mund zu Mund, vom ersten zum letzten, dem Allerkleinsten, weitergegeben. Der dadurch entstehende Rhythmus teilte sich schließlich derart allen mit und verkettete sie Glied um Glied so eng miteinander (Gehör und Gefühl erreichen ihre äußerste Feinheit erst in der gänzlichen Finsternis), daß, als ich zurückblickte, diese lange Kette lebender Ringe sich aus der Ferne wie ein einziges Tier ausnahm, wie eine Art Hydra, ein sagenhafes Schlangenwesen.

    Die Liebesleute von der Porte Maillot

    Er mag wohl seine fünfundsiebzig bis achtzig Jahre alt sein, gut aussehend, so eine Art Flaubert, der die Stirne hoch trägt. Der dichte Schnurrbart verbirgt nicht eine gegen das Kinn herabhängende sinnliche Unterlippe. Der Mund klaf, weil ihm das Atmen schwerfällt, und läßt so die Trümmer eines mächtigen Zahnwerks sehen. Die hellen Bekleidungsstücke sind so abgeschabt, daß man sie nicht mit der Fingerspitze zu berühren wagte, die „Wäsche zweifelhaf, so schmutzig, daß sie fünfzehn Schritte gegen den Wind stinkt. Die kaum geknotete Krawatte war einst prächtig, ist nur noch ein Lumpen. Aber all diese

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