Parrish Plessis 02 - Code Noir
Regenwald hatte sich zwischen den Resten der Zivilisation ausgebreitet. Gigantische Äste, die sich durch verfallene Dächer gebohrt hatten, stützten verwitterte Gebäude, die ansonsten in sich zusammengefallen wären. Aus den brüchigen Wänden wuchsen überall die starken Reben der Kletterpflanzen hervor. Ein brauner, blutfarbener Pilz, der unter dem aufgerissenen Asphalt empor wucherte, bedeckte den Boden wie ein dichter Teppich. Links und rechts des Weges lauerten unförmige, geduckte Dattelpalmen drohend mit ihren Stacheln, und über mir bildeten Alexandra-Palmen ein dichtes Dach. In der leichten Brise, die in den frühen Morgenstunden aufgekommen war, lösten sich leere Samenkapseln in der Größe eines Schlauchbootes von den Palmen, und aus ihren Wipfeln prasselten kleine, orangefarbene Beeren auf den Weg herab. Die meisten von ihnen platzten auf und überzogen den Boden mit einer rutschigen Masse, deren Geruch schlimmer in der Nase brannte, als eine Flasche Tequila.
Ich musste ständig nach oben schauen, um nicht von den herabfallenden Samenhülsen erschlagen zu werden. Noch nie in meinem Leben hatte ich so hohe und dicht gewachsene Palmen gesehen. Solche mutierten Bäume gediehen nur in verseuchten Gebieten, und ich wollte gar nicht erst darüber nachdenken, was das über die Bodenbeschaffenheit in dieser Gegend sagte.
Der jüngste Krieg hatte weite Gebiete des Tert erfasst; doch hier hatten keine Kämpfe getobt. Hier wohnten keine Menschen, die sich gegenseitig töten konnten. Hier gab es nur verlassene Gebäude, bedeckt von einer wild wuchernden Vegetation, und die Vorboten des nahenden Frühlings, der mit einem warmen Nordwind seine Fühler ausstreckte.
Die Ignoranz, mit der ich bisher durchs Leben gewandelt war, erstaunte mich. Nur wenige Klicks von dem Ort entfernt, an dem ich lebte, wuchs ein gewaltiger, bizarrer Dschungel, und ich hatte all die Jahre von seiner Existenz noch nicht einmal etwas geahnt.
Was die Einsamkeit dieses Platzes betraf, hatte ich mich allerdings geirrt.
Schon bald beobachteten mich aus dem Dickicht unzählige Kanratten mit ihren leuchtenden Augen; einige von ihnen wagten sich gar bis an den mit Beeren bedeckten Weg heran. Es waren riesige Exemplare mit scheckigem Pelz – einer Mischung aus Hunde- und Rattenfell –, scharfen Eckzähnen und langen, nackten Schwänzen.
Ich versuchte, sie abzuschütteln, indem ich eine Villa betrat und ins obere Stockwerk hinaufstieg. Das war ein Fehler. Urplötzlich befand ich mich inmitten einer Beutekammer, die einem gewaltigen Raubtier gehören musste: Auf dem Boden lagen abgenagte Knochen, und von den Holzbalken der hohen Decke hingen lange Haut- und Felllappen herab.
Die Kanratten waren mir gefolgt und umzingelten mich nun. Ein kleiner Kratzer von ihren giftigen Fangzähnen würde genügen, um mich auf der Stelle zu töten.
Ich setzte meinen Rucksack ab und duckte mich mit dem Rücken gegen eine Dachschräge. Als ich meine Pistolen zog, verschwanden die Tiere. Auf der Suche nach einem Ausgang brach ich in einem Nebenzimmer durch die morsche Decke und landete im unteren Stockwerk krachend auf dem Rücken.
Mein Instinkt riet mir, möglichst schnell aufzustehen und mich aus dem Staub zu machen, solange mich die Kanratten noch nicht entdeckt hatten; doch die Taubheit in meinen Armen und Beinen machte mir jegliche Bewegung unmöglich.
Ich öffnete die Augen.
Meine Lage war schlimmer, als ich erwartet hatte. Viel schlimmer. Am liebsten hätte ich vor Schreck laut aufgeschrien, doch meine Lunge schmerzte, als wäre sie von meinen Rippen aufgespießt worden.
Unmittelbar vor mir sah ich einen riesigen Bungarra von der doppelten Größe einer Kanratte. Das Tier sperrte das Maul weit auf und stieß einen Urschrei aus. Sein Kiefer war so groß, dass mein gesamter Kopf ohne Problem hineingepasst hätte.
Die Natur war schon immer ein Ort für wilde Tiere gewesen, doch im Vergleich mit dieser Riesenechse war ein Yeti der reinste Gartenzwerg.
Mit zwei großen Schritten stand das Tier über mir und bohrte seine langen Krallen in meine Schultern.
Der Schmerz durchfuhr meinen Körper. Aus meinem Mund drang ein Geräusch, das ich noch nie gehört hatte; es konnte unmöglich menschlichen Ursprungs sein.
Benommen hörte ich das klagende Grunzen der Kanratten. Es gefiel ihnen nicht, dass der Bungarra ihnen die Beute stahl. Die Echse stieß als Antwort ein heiseres Fauchen aus.
Was nun?
Keine Ahnung.
Irrsinnige Schmerzen durchbohrten mein Gehirn
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