Parrish Plessis 02 - Code Noir
ich mich wie ein Mensch, der sich in einen Werwolf verwandelte – damit will ich natürlich nicht sagen, dass ich jemals Zeuge einer solchen Metamorphose geworden wäre.
Mein verändertes Äußeres strahlte sicherlich Zuversicht aus, doch tief in meinem Inneren hatte sich der Kummer wie ein dunkler Schatten über meine Seele gelegt. Ich war zu jener Art Mensch geworden, die ich früher einmal bewundert hatte: jemand, mit dem sich niemand anlegte, jemand, der nichts mehr zu verlieren hatte. Aber die Wirklichkeit entsprach nicht meinen Träumen. Nicht im Geringsten.
Doch andererseits: Wann entspricht die Realität je unseren Vorstellungen?
Die Leute suchten zwar keinen offenen Streit mit mir. Dafür lauerte an jeder Straßenecke ein Konkurrent und potenzieller Nachfolger, der nur darauf wartete, dass ich einen Fehler beging.
Ich griff in meine Tasche und holte die kleine Schachtel mit Hautproben hervor, die mir der Verhör-Mecha gegeben hatte. Warum war die King Tide ein so wichtiger Zeitpunkt für die Cabal? Torley war von der Flut nicht so gefährdet wie Fishertown.
Ich leerte mein Bier und bestellte ein neues; am liebsten hätte ich mich betrunken, doch dazu hatte ich nicht keine Zeit.
Vier Tage bis zur King Tide!
Abgesehen davon blieb mir in meinem derzeitigen Zustand sogar das Vergnügen eines Vollrausches verwehrt: Der Parasit griff ein, wenn ich einen bestimmten Pegel erreichte und beraubte den Alkohol seiner Wirkung. Ich hätte nie gedacht, dass ich es jemals vermissen würde, mit hämmernden Kopfschmerzen und fauligem Geschmack im Mund aufzuwachen.
Aber ein ordentlicher Kater fehlte mir tatsächlich.
Auf dem Vid-Schirm über der Bar flimmerten die Bilder von One-World. Ich wandte mich ab; aus einem persönlichen Groll heraus verfolgte ich die Sendungen der verschiedenen Nachrichtennetze nicht mehr. Einst hatten globale Firmenkartelle und skrupellose Politiker diese Welt kontrolliert. Heute lag das Ruder in den Händen von Leuten, die die Realität manipulierten und die Wahrheit töteten; heutzutage waren die Journalisten die Lenker unserer Geschicke. Sie versuchten noch immer, mich für den Mord an Razz Retribution verantwortlich zu machen, einer beliebten Journalistin und Nachrichtensprecherin, obwohl ich dieses Verbrechen nicht begangen hatte.
Die Wut auf diese Leute und das, was sie mir angetan hatten, würde ich mit ins Grab nehmen. Ich konnte ihnen nicht vergeben. Und eines Tages würde ich mich rächen.
Im Moment war das Interesse an meiner Person abgeflaut, und die Medien ließen mich in Ruhe. Ich vermutete, dass die öffentliche Kontroverse über die Wahrheit hinter Razz Retributions Tod sie davon abhielt, mich weiter zu verfolgen. Gewöhnlich scherten sich die Medien nicht um die Wahrhaftigkeit ihrer Berichterstattung, doch in diesem Fall waren berechtigte Zweifel aufgekommen. Die Frage, ob Parrish Plessis tatsächlich hinter dem Anschlag auf Retribution steckte, hatte die Zuschauer in zwei Lager gespalten. Die einen glaubten an meine Schuld; die anderen waren sicher, dass es sich bei dem Täter um jemand anderen handelte.
Vermutlich waren die Intrigen und Verschwörungstheorien, die sich um diesen Mord rankten, für viele eine willkommene Abwechslung zu den täglichen Gewaltsendungen.
Es war ein guter Schachzug von mir gewesen, Jamon Mondo live auf dem Netzwerk ein öffentliches Geständnis abzuverlangen. Das hatte mir ein wenig Zeit verschafft. Nun konnten mich die Medien nicht mehr ohne einen ordentlichen Prozess verurteilen, und irgendwie schienen sie es damit auch nicht sehr eilig zu haben. Sie nutzten die Gunst der Stunde und trieben die Einschaltquoten in die Höhe.
Obwohl ich nicht mehr direkt im Rampenlicht stand, durfte ich mich noch lange nicht in Sicherheit wiegen. Es geschahen zu viele Dinge, die ich nicht verstand oder deren Hintergründe ich nicht kannte. Zum Beispiel mein Gespräch mit dem Verhör-Mecha: Diese Journalistin hatte versucht, mich vor irgendetwas zu warnen, was ihr dank Teeces nervösem Zeigefinger jedoch nicht gelungen war. Nun hatte ich lediglich ein paar hässliche Hautfetzen. Es gab nicht den geringsten Anhaltspunkt, was es mit ihnen auf sich hatte; die Angelegenheit bereitete mir ernsthaftes Kopfzerbrechen.
Vermeintliche Freunde wie diese Journalistin, die aus dem Nichts auftauchten und in selbigem wieder verschwanden, waren mir von jeher suspekt.
Ich spülte mein Bier in einem Zug herunter und dachte weiter über diese seltsame Begegnung nach, bis
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