Partials 1 – Aufbruch
Essen,
Reservemunition, sogar Sprengstoff. Davon hatte sie noch gar nichts gewusst.
Sie reichte alles an Yoon und Dreckig weiter, dann brachten sie die Sachen in
ein Hinterzimmer, das keinen zweiten Ausgang hatte. Als Letztes war der
medizinische Computer an der Reihe. Es war ein tragbares Gerät, das über einen
eigenen Generator verfügte, eigens für die Feldarbeit in unterentwickelten
Gegenden konstruiert. Kira konnte sich nicht erinnern, wie die alte Welt
ausgesehen hatte. Damals war sie ein Kind gewesen, und die Einöde hatte als entwickelt gegolten. Sie dachte an die Maden auf dem
Hundekadaver, die blind umherkrochen und fraßen.
Sie versorgten die Pferde, stellten eine Wache auf und richteten ihr
Nachtlager ein. Kira wickelte sich eng in die Decken. Es war nicht kalt, aber
empfindlich kühl, und in der Dunkelheit schlugen ihre Zähne aufeinander. Sie
hörte jemanden leise singen – es war Gabe, der Wache hielt. Leise und fast
zärtlich, was angesichts seines mächtigen Körperbaus verwunderte, sang er ein
altes Lied, das Kiras Lehrer manchmal in der Schule vorgetragen hatte. Es ging
um eine verlorene Liebe und um seliges Vergessen. Sie musste an Marcus und ihr
letztes Gespräch denken. Sie liebte ihn – jedenfalls glaubte sie das oder hatte
es geglaubt. Aber wenn er über ein Zusammenleben mit ihr gesprochen hatte, war
ihr der Gedanke unerträglich geworden.
Warum kann ich mit ihm nicht über wirklich wichtige Dinge reden?,
fragte sie sich. Warum sieht er nicht ein, dass es mir nicht reicht, einfach aufzugeben
und das Ende abzuwarten? Wie kann jemand bloß eine solche Einstellung haben?
Sie zog sich die Decke über den Kopf und lauschte Gabes Lied. Als
sie eingeschlafen war, träumte sie vom Tod – nicht nur von ihrem Tod, nicht nur
vom Tod der Menschheit, sondern vom Untergang aller Lebewesen, die sie je
gekannt hatte. Die Erde war flach und weit, eine braune Staubwüste, kahl wie
der Mond. Eine einsame Straße verlor sich in unendlicher Weite. Als Letztes
stürzten die Gebäude ein, fern und feierlich, die Grabsteine einer ganzen Welt.
Dann waren sie verschwunden, und es war überhaupt nichts mehr da.
14
Jayden weckte Kira früh am Morgen, anschließend rüttelten
sie die anderen aus dem Schlaf und brachen inmitten eines dünnen grauen Nebels
auf. Diesmal lenkte Haru das Gespann. Er schnalzte mit der Zunge, um die Tiere
anzutreiben. Yoon saß unterdessen hinten bei Kira und kreiste langsam mit den
Schultern, um die Verspannungen zu lösen. Im frühen Morgenlicht erkannten sie
jenseits einer weiten Bucht den Flughafen. Nebel wallte über das Wasser.
Sie fuhren noch einige Kilometer durch städtisches Gebiet, bis sie
die nächste Brücke erreichten, die sich weit über die Bucht hinweg spannte und
die Halbinsel mit der Hauptinsel verband. Sie erkannten das Bauwerk, lange
bevor sie tatsächlich davorstanden. Kira hoffte inständig, dass die Fahrbahn
noch intakt war. Wenn sie an dieser Stelle nicht hinüberkamen, hatten sie
mehrere Tage verloren.
Suchte man sie schon? Der Bergungseinsatz war für zwei Tage geplant,
also wurden sie noch nicht vermisst, es sei denn, Marcus hatte den zuständigen
Stellen ihr Ziel verraten. Sie wollte ihm trauen und konnte sich nicht
vorstellen, weshalb er sie enttäuschen sollte. Andererseits hatte er sich
geweigert, ihr zu helfen und mitzukommen. Ihn hätte sie zurzeit mehr gebraucht
als das Gewehr, das sie in Händen hielt, und doch …
Vor einem riesigen Parkplatz, der von einem bis zum anderen Ende der
Halbinsel reichte, hielten sie an. Die Brücke war blockiert, dort erhob sich
eine behelfsmäßige Barrikade aus alten Autos, in denen schon lange kein Fahrer
mehr gesessen hatte. Dünn und Dreckig hielten Wache, während die anderen
schoben, drückten und die Pferde anspannten, um einen Weg durch die Trümmer
freizuräumen. Kira überwand sich, aufrecht auf dem Wagen zu stehen, als sie die
Brücke überquerten. Auf Hunderte Meter in allen Richtungen war sie selbst die
höchste Erhebung. Sie hatte Angst. Genau deshalb tat sie es.
Die andere Seite war offener als die Halbinsel, dort gab es Felder
und Bäume und keine verlassenen Gebäude. Kira atmete durch, als der Flughafen
endlich hinter ihnen lag. Nach wenigen Kilometern erreichten sie wieder besiedeltes
Gebiet und fuhren auf einer breiten Straße an Einkaufszentren und dicht
gedrängten, aus Holz und Ziegeln erbauten Einfamilienhäusern vorbei. Die
meisten waren baufällig, von Ranken überwucherte Ruinen in
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