Partitur des Todes
dessen Herzschlag sich weiter beschleunigte.
Als er bereitsAnlauf nehmen wollte, um seine Schulter gegen das Türblatt zu rammen, hielt Kerstin Henschel ihn zurück.
«Erst versuchen wir es anders», sagte sie.
Sie holte ihr Portemonnaie hervor und zog eine Scheckkarte heraus. Sie schob die Karte in den schmalen Spalt zwischen Schließblech und Rahmen und bewegte sie ein paar Mal auf und ab.
Marthaler trat einen Schritt zur Seite und zog seine Dienstwaffe.
Als Kerstin die Position des Schnappers ertastet hatte, dauerte es noch zehn Sekunden, bis die Tür aufsprang.
Vorsichtig gab Marthaler der Tür mit seiner Schuhspitze einen Schubs. Für einen Moment gingen beide Polizisten in Deckung, bevor sie einen Blick ins Innere der Wohnung wagten.
Auch Kerstin Henschel hatte jetzt ihre Pistole gezogen.
Den Boden des Wohnungsflurs bedeckten Dielen, über denen ein bunter Läufer lag.An der rechten Wand war ein Spiegel angebracht, vor dem eine niedrigeKommode stand. Daneben eine kleine Garderobe, die hinter Jacken und Mänteln verschwand. Die Deckenlampe war ausgeschaltet.
«Eva Helberger, sind Sie zu Hause?», fragte Kerstin Henschel.
Dann gab sie Marthaler ein Zeichen.
Die Nerven beider Polizisten waren bis zum Äußersten gespannt. Eine fremde Wohnungstür zu öffnen, ohne zu wissen, was oder wersich dahinter befand, war eine der gefährlichsten Situationen, die die Polizeiarbeit mit sich brachte. Sie mussten mit allem rechnen.Auch damit, dass sich jemand in der Wohnung versteckt hielt, der eine Waffe hatte, mit derer sie im nächsten Moment angreifen würde.
Marthaler streckte seine Pistole aus, dann machte er einen Satz nach vorne und schaute hinter die Wohnungstür. Sofort drehte er sich wieder um und presste seinen Rücken dicht an die Wand.Außer seinem lautenAtem war nichts zu hören. Kerstin stand noch immer am Eingang und überwachte von dieserPosition aus die Zimmertüren, um ihm im Notfall Feuerschutz geben zu können.
Als Erstes überprüfte er die winzige Küche. Mit einem Blick erfasste er, dass sie leer war.Auf dem Esstisch stand eine angebrochene Flasche Wein und ein überquellender Aschenbecher. Die offene Spülmaschine war zur Hälfte gefüllt mit schmutzigem Geschirr. Vor einer schmalen Waschmaschine lag ein Haufen benutzter Kleidungsstücke.
Dann betrat er das Wohnzimmer. Es war dunkel und nicht größer als zwölf, höchstens vierzehn Quadratmeter. Er warf einen raschen Blick hinter sich, um sicherzugehen, dass Kerstin Henschel ihm bis zur Zimmertür gefolgt war. Er ging zum Fenster und schaute nach unten. Von hier aus musste Eva Helberger den Mann auf der Bank beobachtet haben.
Man konnte den Weg sehen, die Kronen der Platanen, den Fluss und das gegenüberliegende Ufer mit den Hochhäusern. Marthaler sah die Fahrradfahrer, die Spaziergänger und Ruderer,die das schöne Wetter an diesem Sonntagnachmittag nutzten, um sich im Freien zu erholen. Das kleine Restaurantboot lag nicht mehr am Kai. Die Wasserschutzpolizei hatte es abgeschleppt. Nichts deutete darauf hin, dass hier unten vor nicht einmal drei Tagen eines der brutalsten Verbrechen in der Geschichte der Stadt geschehen war.
Als er wieder in den Flur trat, sah er Kerstin kurz an und schüttelte den Kopf.
Einen Raum musste er noch überprüfen. Die Tür war verschlossen. Er drückte den Griff herunter und stieß sie mit einer Bewegung auf.
Das Zimmer war fensterlos. Schemenhaft konnte er auf dem Boden eine Futonmatratze erkennen. Daneben die Umrisse eines Kleiderschranks.
Bevor er den Schlafraum betrat,tastete er nach dem Lichtschalter. Es waren zwei Schalter übereinander. Er knipste sie fast gleichzeitig an.
Der Futon wurde von einer schwachen Glühbirne beleuchtet. Die Bettwäsche war zerwühlt.
Dann ging hinter der gegenüberliegenden Wand eine Leuchtstoffröhre an. Durch den Spalt einer offenen Tür sah Marthaler, dass sich hinter dem Schlafzimmer das Bad befand. Nach einem kurzen Flackern wurden die weißen Wandfliesen in helles Licht getaucht. Marthaler nahm an, dass es sich um eines der typischen Frankfurter Bäder handelte, kaum mehr als eine Wanne und ein Waschbecken, die durch eine nachträglich eingezogene Wand vom Schlafzimmer abgetrennt worden waren.
Er machte einen Schritt nach vorne.
Dann stöhnte er auf.
Reflexartig schloss er die Augen.
«Mein Gott, nein!»
«Robert, was ist los?»
Es kamihm vor, als würde Kerstin Henschels Stimme ausweiter Ferne an seine Ohren dringen.
«Kerstin, nein! Bleib, wo du
Weitere Kostenlose Bücher