Partitur des Todes
passiert war. Die Tomatensoße stand noch auf dem Herd und warf dicke Blasen. Überall waren rote Flecken: an der Wand, auf dem Boden, auf der Arbeitsplatte.
Marthaler fluchte. Er nahm den Topf vom Herd, dann goss er die Nudeln ab und bereitete dem Jungen seinEssen. Wortlos stellte erden Teller auf den Tisch im Wohnzimmer, wo Benni wieder mit starrem Blick auf den Bildschirm schaute.
Marthaler machte sich daran, die Küche zu säubern.Als er fertig war, merkte er, dass auch auf dem Teppichim Flur Spuren der Tomatensoße waren. Er hatte sie offensichtlich an seinen Schuhsohlen durch die Wohnung getragen. Er rutschte auf den Knien herum und versuchte, den Boden mit einem feuchten Schwamm zu säubern.Aus den dunkelroten Flecken wurden hellrote Flecken. Schließlich gab er auf. Er schaute auf die Uhr. Es wurde langsam knapp, er musste noch duschen und sich umziehen.
Als er das Badezimmer wieder verließ, war es bereits kurznach halb sieben. Wenn er noch pünktlich sein wollte, musste er sichbeeilen.
«Was ist nun mit deiner Mutter? Hat sie ein Telefon? Weißt du ihre Nummer?»
Benni zeigte keine Regung. Der Teller mit den Spaghetti stand fast unberührt neben ihm auf dem Tisch.
«Und warum isst du nichts? Die Nudeln werden doch kalt», sagte Marthaler.
«Schmecken nich», erwiderte der Junge, ohne seineAugen vom Fernseher abzuwenden.
«Weißt du was, du wirst jetzt mit mir ins Polizeikommissariat kommen. Irgendwer muss sich dort um dich kümmern. Ich werde deiner Mutter einen Zettel an die Tür hängen, damit sie weiß, wo sie dich abholen kann. Schalt den Fernseher aus und komm!»
Zu Marthalers Verwunderung gehorchte der Junge sofort. Er lächelte. Offensichtlich schien er sich auf das unverhoffte Abenteuer zu freuen.
Als siegerade das Haus verlassen wollten, wurde die Tür von außen geöffnet. Es war Bennis Mutter. Sie war blass und wirkte verstört. Sie sah Marthaler kurz an, dann senkte sie den Blick.
«Entschuldigung», sagte sie.
«Ich geh mit dem Mann», sagte Benni. «Wir gehen zur Polizei.»
«Nein», erwiderte Marthaler, «jetzt ist deine Mutter ja da. Du gehst mit ihr. Ich habe es eilig.»
Der Junge begann laut zu weinen. Er warf sich auf den Boden und schrie. Gleich würde die alte Hausmeisterin den Kopf aus der Tür strecken. Marthaler wollte ihr nicht begegnen und beeilte sich, das Haus zu verlassen. Bevor die Tür hinter ihm ins Schloss fiel, hörte er noch, wie Bennis Mutter ihm ein «Danke» nachrief. Dann machte er sich auf den Weg zur U-Bahn.
Vier
Schon bald nach Einweihung des neuen Polizeipräsidiums waren in den Büros der Ersten Mordkommission so viele Mängel aufgetreten, dass Marthaler darauf bestanden hatte, mit seinen Leuten umzuziehen. Das große, weißgetünchte Gebäude im Nordend, das sie das Weiße Haus nannten, war eigentlich nur als Ausweichquartier gedacht gewesen. Inzwischen fühlten sich die Mitarbeiter von MK I hier allerdings so wohl, dass sie nicht daran dachten, das schöne Bürgerhaus wieder gegen den seelenlosen Klotz des Präsidiums zu tauschen.
RobertMarthaler betrat den Besprechungsraum des Kommissariats und traute seinenAugen nicht. Sämtliche Tische waren zur Seitegerückt worden; die Stühle standen übereinandergestapelt in einer Ecke.An den Wänden hingen Bilder, die bisher nicht dort gehangen hatten. Es waren die Porträts sämtlicher Präsidenten der Bundesrepublik. Dazwischen Fotos von berühmten Filmdetektiven. Marthaler erkannte Humphrey Bogart, Peter Falk als Inspektor Columbo, Jean Gabin als Kommissar Maigret und SpecialAgent Dale Cooper aus der Serie «Das Geheimnis von Twin Peaks».
In der Mitte des Raumes stand Charlotte von Wangenheim, die ab morgen die Leiterin beider Mordkommissionen sein würde, und sah Marthaler erwartungsvoll an. Dann begann sie zu lächeln.
«Der Hauptkommissar machtAugen wie ein Kind untermWeihnachtsbaum», sagte sie. «Ich dachte, wir bringen mal ein wenig Leben in die heiligen Hallen. Die Präsidenten sind als Nachhilfe in Staatsbürgerkunde gedacht. Den berühmten Detektiven wollen wir alle gemeinsam nacheifern. Was sagen Sie nun?»
«Ja», sagte Marthaler mit tonloser Stimme. «Sehr schön.» Dann zeigte er auf die Tische und Stühle. «Und was hat das zu bedeuten? Heißt das, wir sollen künftig im Stehen arbeiten?»
Die neue Chefin lachte. Sie trug ihr brünettes Haar halblang und hatte einen dunkelblauen Hosenanzug an.
«Nein» sagte sie. «Wir spielen ein Kennenlernspiel. So haben wir es immer in der
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