Partitur des Todes
sagte. Dann war sie ins Rutschen geraten. Sie versuchte sich an den trockenen Büschen festzuhalten, aber sie rutschte immer weiter.
Und jetzt klingelte es an der Tür. Marthaler hatte Mühe, wach zu werden, trotzdem war er froh, nicht mehr zu träumen. Er ging in den Flur und schaute durch den Spion, aber er konnte niemanden sehen. Dann hörte er jemanden klopfen.
«Du sollst aufmachen.» Es war die Stimme eines Kindes.
Marthaler öffnete die Tür und erkannte den kleinen Jungen, der vor zwei Wochen mit seiner Mutter in die Wohnung im ersten Stock gezogen war.
«Ich soll zu dir kommen», sagte der Junge.
«Du sollst zu mir kommen? Wer hat das gesagt?»
Statt zu antworten, schob sich der Junge an Marthaler vorbei in die Wohnung.
«Ich habe dich etwas gefragt.»
«Meine Mutter hat gesagt, ich soll zu dir kommen.»
«Und warum sollst du zu mir kommen?»
«Sie muss weg. Ich kann nicht alleine bleiben.»
Marthaler war zu überrascht, als dass ihm sofort eine Erwiderung eingefallen wäre.
«Ich habe Hunger», sagte der Junge.
«Auch das noch… Ich kann direin Brot machen. Mit Käse oder Wurst. Oder mit Marmelade. Oder magst du lieber einen Apfel? Und ein bisschen Suppe von gestern ist auch noch da.»
«Spaghetti.»
«Spaghetti? Ich muss nachsehen, ob ich welche habe… Und wann kommt deine Mutter wieder?»
«In einer Stunde.»
Marthaler schaute auf die Uhr. Es war kurz vor halb sechs. Um sieben waren sie im Weißen Haus in der Günthersburgallee verabredet. Charlotte von Wangenheim, die neue Chefin der Mordkommission, hatte ihren Antrittsbesuch angekündigt und darum gebeten, sich nach Dienstschluss zu treffen. So würde er trotz seines freien Tages nochmal aus dem Haus müssen.
«Dann muss deine Mutter aber pünktlich sein. Hast du denn einen Schlüssel für eure Wohnung?»
«Nee. Dafür bin ich noch zu klein. Den würde ich verschlampen», sagte der Junge.
«Und wie heißt du?»
«Benni. Ich will Spaghetti.»
Marthaler war in die Küche gegangen und schaute in den Vorratsschrank.
«Also heißt du Benjamin. Es sind keine Spaghetti mehr da. Dann musst du doch etwas anderes essen. Hast du noch Geschwister, Benni?»
«Ja, drei.Aber die wohnen nicht bei uns.»
«Was hältst du davon, wenn ich dir ein Brot mache?»
«Ich will Spaghetti.»
«Gut. Pass auf, du setzt dich jetzt hier hin und wartest auf mich. Ich werde in den Keller gehen und schauen, ob dort noch welche sind.»
Marthaler nahm sein Schlüsselbund und verließ die Wohnung. Fünf Minuten später war er wieder da, aberder Junge war verschwunden.
«Benni, wo bist du?», rief er. «Ich hab noch ein Päckchen gefunden.» Dann hörteer ein Geräusch aus dem Schlafzimmer.
Benni stand vor Marthalers Nachttisch und hatte die Schublade herausgezogen.
«Sag mal, was soll das? Du kannst hier nicht einfach in der Wohnung rumschnüffeln.» Marthaler schaute sofort nach, ob seine Dienstwaffe noch da war. Sie lag unversehrt in ihrem Holster.
«Kannst du mir sagen, was das soll?»
Der Junge schaute Marthaler an, ohne zu antworten. Dann ging er an ihm vorbei ins Wohnzimmer und setzte sich in den Sessel.
«Warum ist dein Fernseher nicht an?», fragte er.
«Weil ich nicht ferngesehen habe, als du geklingelt hast. Möchtest du ein wenig schauen?»
Der Junge lächelte.
Marthaler schaltete das Gerät ein und gab Benni die Fernbedienung. Er war froh, dass der Junge abgelenkt war, solange er selbst in der Küche die Nudeln zubereitete.
Er setzte Wasser auf, dann nahm er eine Tube mit Tomatenmark und bereitete eineSoße zu. Kurz darauf hörte er aus dem Wohnzimmer das Geräusch von Schüssen und quietschenden Reifen. Der Junge starrte mit offenem Mund aufden Bildschirm, wo gerade ein Mann einer Frau ein Messer an die Kehle hielt. Marthaler nahm die Fernbedienung und suchte ein anderes Programm. Sofort begann der Junge zu protestieren.
«He, was soll das? Ich will das sehen.»
Marthaler merkte, wie er wütend wurde. Bevor er noch etwas erwidern konnte, langte Benni nach der Fernbedienung, die Marthaler bereits in seiner erhobenen Rechten in die Luft hielt.Im nächsten Moment durchfuhr ihn ein stechender Schmerz. Marthaler schrie auf.
Der Junge hatte ihn mit großer Kraft in die linke Hand gebissen.
«Verdammt, du kleines Miststück!»
Er gab dem Jungen eine Kopfnuss, dann lief er ins Badezimmer, um die Wunde zu kühlen.Als er gerade einen feuchten Lappen um seine Hand legte, hörte er den Kurzzeitwecker läuten.
Schon an der Tür sah er, was
Weitere Kostenlose Bücher