Partitur des Todes
schwanger.»
Er bewegte sich auf das kleinste der Kinder zu, ein etwa vierjähriges Mädchen, das ihn mit großen Augen ansah.Aus lauter Überschwang nahm er der Kleinen ihre Schildkappe ab und setzte sie sich auf den Kopf. Dann schnappte er sich auch noch das Fähnchen und winkte damit.
Sofort begann das Mädchen zu weinen.
Erschrocken, und nun schon wieder zwischen Freude und Verzagtheit schwankend, hielt Marthaler inne. Rasch versuchte er, seinen Fehler gutzumachen. Er wollte der Kleinen ihre Kappe wieder aufs Haar drücken, aber sie hatte sich bereits abgewandt und presste sich schluchzend an den Bauch ihrer Mutter. Sie wollte die Kappe nicht mehr und nicht mehr das Fähnchen.
Marthaler war ratlos.
«Entschuldigen Sie!», sagte er. «Das wollte ich nicht.» Mit hängenden Armen stand er vor der Mutter des Mädchens. Dann reichte er ihr die beiden Werbegeschenke. «Kann ich irgendetwas tun?», fragte er. Er begann in seinen Taschen zu kramen, um ein paar Münzen hervorzuziehen. «Hier», sagte er, «nehmen Sie. Kaufen Sie den Kindern ein Eis!»
«Nein», sagte die Frau, die ihrer Tochter über den Kopf streichelte. «Es ist gut. Sie wird sich wieder beruhigen. Gehen Sie einfach!»
«Ja», sagte Marthaler und nahm Valerie Rochards Tasche wieder vom Boden auf. Dann wandte er sich um.Als er sich ein paar Meter entfernt hatte, drehte ernoch einmal den Kopf. «Es tut mir sehr leid.Aber Sie müssen wissen… Ich habe gerade erfahren, dass wir…»
«Ja», sagte die Frau, «Sie sind schwanger. Das habe ich gehört.» Sie lächelte Marthaler an. «Dann wünsche ich Ihnen eine gute Niederkunft.»
Dreiundzwanzig
Das Konferenzzimmer im Weißen Haus war abgedunkelt und sämtliche Stühle bereits besetzt. Trotzdem drängtenimmer noch mehr Leute in den Raum. Mit jedem, der neu hinzukam, wurde die Luft ein wenig stickiger.
Mehr als zwanzig Beamte waren am Nachmittag ausgeschwärmt, um jene Zeugen zu befragen, die sich telefonisch gemeldet hatten. Nachdem sie dieAussagen durchgegangen waren, ohne dass sich etwas Neues ergeben hatte, wollten sie jetzt das Bildmaterial auswerten.
Als Sven Liebmann den Beamereinschaltete, wurde es still im Raum.
«Okay», sagte er. «Wir haben sämtliche Fotos und Filme, die uns von den Zeugen zur Verfügung gestellt wurden, einmal kurz angeschaut. Das meiste konnten wir sofort aussortieren: typische Hobbyaufnahmen von posierenden Kindern, eisschleckenden Ehefrauen und hechelnden Hunden. Immer wieder sehen wir den Dom, das Schauspielhaus und die Hochhäuser. Und ein paar Mal auch die Schwäne und Enten am Mainufer. Trotzdem hat fast jeder gefragt, ob es eine Belohnung gibt.Alle haben sie gehofft, zufällig unseren Mörder aufs Bild bekommen zu haben. Schauen wir uns zuerst die Fotos an.»
Als das erste Bild auf der Leinwand erschien, hörte man anerkennende Pfiffe aus dem dunklen Raum. Zu sehen waren zwei junge Frauen, beide blond, beide mit Shorts und leichten Wanderschuhen bekleidet. Sie lachten in die Kamera.
«Zwei schwedische Touristinnen, die im Haus der Jugend abgestiegen sind», sagte Liebmann. «Sie haben einen Passanten gebeten, ein paar Fotos zu machen. Im Hintergrund am rechten Bildrand sieht man ein Stück von der Bank, auf der unser Unbekannter angeblich sitzt.»
Sven Liebmann klickte die nächste Aufnahme an: «Selbes Motiv, etwas andere Perspektive.»
Sofort war ein Raunen zu vernehmen. Das Foto zeigte wieder die beiden Frauen und wieder die Bank. Jetzt sah man, dass auf der Bank jemand saß. Ein dunkelgekleideter Mann, dessen rechte Körperhälfte zu erkennen war.
«Das könnte er sein», sagte Liebmann. «Viel ist das nicht, aber ein Anfang. So, und jetzt aus derselben Serie das letzte Bild.»
Diesmal hatten die Schwedinnen ihreArme umeinander gelegt. Beide sahen in den Himmel. Die Bank im Hintergrund war jetzt vollständig im Bild.Aber sie war leer. Der Mann war verschwunden.
«Oh, wie schön, eine Bank», rief jemand. Es folgte Gelächter.
«Ja. Der schwarze Herr ist nicht mehr da. Trotzdem erhalten wir durch das Bild eine wichtige Information. Jetzt wissen wir, dass er dort nicht die ganze Zeit gesessen hat, dass er seinen Posten gelegentlich geräumt hat… Nun eineAufnahme, die ein paar Minuten später entstanden sein dürfte. Wir haben sie von einem Rentnerehepaar erhalten, das an diesem Nachmittag mit seiner Enkelin unterwegs war. Das Foto hat der Opa gemacht.»
Zu sehen war der Uferweg mit zahlreichen Passanten. In einiger Entfernung an einer der
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