Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Partitur des Todes

Partitur des Todes

Titel: Partitur des Todes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Seghers
Vom Netzwerk:
stören.
    «Tereza, wo bist du?», fragte er. «Es klingt, als wärst du in Amerika.»
    «Nein. Nicht Amerika. Ich bin in Prag.»
    Er glaubte, sich verhört zu haben.
    «Was hast du gesagt?»
    «Ich bin in Prag. Ich bin zu Eltern gefahren.»
    Sofort wurde Marthaler unruhig.
    «Wieso in Prag? Was… was hat das zu bedeuten? Ich denke, ihr bereitet die neueAusstellung vor?»
    Einen Moment herrschte Stille. Er hörte nur ein fernes Rauschen.
    «Wir sind fertig», sagte sie. «Gestern Abend wir sind fertig geworden.»
    Wieder merkte er, dass etwas nicht stimmte, dass sie zu wenig miteinander sprachen. Bislang hatten sie immer eine kleine Feier veranstaltet, wenn Tereza eines ihrer Projekte im Städel-Museum beendet hatte, waren essen gegangen oder hatten wenigstens eine Flasche Wein zusammen getrunken. Diesmal hatte sie es ihm nicht einmal erzählt. Vielleicht, weil sie keine Gelegenheit dazu gehabt hatte, weil keine Zeit dafür gewesen war. Vielleicht aber auch, weil es ihr nicht mehr wichtig war, mit ihm darüber zu reden.
    «Tereza, was machst du in Prag? Warum hast du nicht gesagt, dass du fahren willst?»
    «Ich wollte. Ich habe versucht, dich zu wecken. Ich habe geküsst.Aber du hast so tief geschlafen. Du hast gelegen wie toter Riese. Dann bin ich gefahren… Ich muss denken, Robert.»
    «Ja, Tereza, ich weiß.Aber warum denkst du nicht hier? Warum können wir nicht zusammen nachdenken? Es geht uns beide etwas an.»
    Statt einerAntwort hörte er nur ein Knistern in der Leitung. Und dann einen lauten Knall.
    «Tereza? Tereza bist du noch da?», rief er. «Was war das? Was ist passiert?»
    «Ich verstehe dich nicht. Die Beziehung ist schlecht.»
    Für einen Moment war Marthaler irritiert; dann begriff er. «Du meinst die Verbindung», sagte er. «Die Verbindung ist schlecht.»
    «Ja», sagte sie. «Es herrscht Ungewitter… Robert, es ist etwas geschehen.»
    Nun war er es, der schwieg. Ein Gedanke, den er seit Tagen beiseiteschob, überfiel ihn mit solcher Macht, dass er jede Hoffnung zunichtemachte. Tereza hat sich verliebt, dachte er. Sie hat einen anderen Mann. Sie will sich von mir trennen. Sie ist nach Prag gefahren, um es mir nicht ins Gesicht sagen zu müssen. Mit einem Mal kam es ihm vor, als sei die Entfernung, die zwischen ihnen lag, ein gähnenderAbgrund, in den er zu stürzen drohte. Er war so verzagt, dass erAngst hatte, sich nicht länger auf den Beinen halten zu können.
    «Robert?»
    «Was ist geschehen?», fragte er mit tonloser Stimme.
    «Ich bin schwanger, Robert.»
    Terezas Stimme wurde fast völlig überdeckt von den Störgeräuschen des Funknetzes. Marthaler war sich nicht sicher, sie wirklich verstanden zu haben.
    «Was hast du gesagt?», fragte er.
    «Robert, ich bekomme Kind.» Ihre letzten Worte hatte sie fast geschrien.
    Dann wurde die Verbindung unterbrochen.
    Unbeweglich wie eine Säule stand Marthaler mitten auf dem Paulsplatz. Noch immer drückte er das Mobiltelefon an sein Ohr. Er brauchte eine halbe Minute, bis er den Sinn ihrer Worte begriffen hatte.
    Dann bekam erAngst. Tereza war schwanger, ohne dass sie beide es geplant hatten. Manchmal hatte er daran gedacht, wie es wäre,wenn sie ein Kind hätten.Ab und zu hatten sie beide auch darüber gesprochen, aber immer nur im Scherz. Für ihn war es ein ferner Gedanke gewesen, den er bald wieder vergessen hatte. Jetzt mussten sie sich darauf einstellen. Erfragte sich, was aus Tereza und ihm würde. Würden sie sich durch ein Kind näherkommen oder würden sie sich voneinanderentfernen? Jedenfalls würde sich ihr Leben verändern, ohne dass er es wollte.
    Doch schon eine Minute späterhatte sich seine Stimmung ins Gegenteil verkehrt.Plötzlich kam es ihm vor,als sei Terezas Schwangerschaft die Lösung aller Probleme. Nun war es, als würde das Glück dieser Nachricht wie ein erfrischender Regen über ihn hereinbrechen. Gerade noch hatte er an sich und seiner Liebe verzweifeln wollen, und jetzt war seine Freude so groß, dass er sie nicht zu fassen vermochte.
    Aus den Lautsprechern der Limonadenfirma war ein kleiner, dummer Walzer zu hören. Davor stand eine Mutter mit ihren drei Kindern, die jedes eine der Schildkappen und ein Fähnchen überreicht bekamen. Marthalers Beine begannen, sich wie von selbst im Rhythmus der Musik zu bewegen. Die Frau im roten Overall sah ihn an und lachte. Marthaler tanzte alleine über den Paulsplatz, wie Sabato alleine in seinem Labor getanzt hatte. «Wir sind schwanger», sang er immer wieder, «wir sind

Weitere Kostenlose Bücher