Party Girl - Roman
Aus rufezeichen. Stimmt, sie hatte sich gestern Nachmittag vor genommen, heute für die Klausur zu üben.
Sie versuchte, sich zu erinnern, wie sie ins Bett gekommen war.
Es fiel ihr nicht mehr ein.
Sie holte das Handy, das neben ihrem Schlüsselbund auf dem Nachttisch lag, schaltete es ein und schon hatte sie die erste SMS. Alles gut?, fragte Mirko.
Mona lächelte. Sie ließ sich auf ihr Bett fallen und simste zurück. Ja, alles prima, und bei dir?
Keine Minute später klingelte ihr Handy. Es war Mirko.
»Hi«, sagte er.
Mona lachte. »Hi, Mirko.«
»Was machst du gerade?«, fragte er.
»Ich mach mir Frühstück.« Das war zwar ein bisschen ge logen, klang aber besser, als »Ich lieg auf dem Bett«.
Sie griff nach ihrem Schlüsselbund und drehte abwesend an dem Schlüsselring, während sie links das Handy hielt.
Der Kellerschlüssel. Der Schlüssel zu ihrem Fach im Schwimmbad, das kleine Silberröhrchen mit dem zusam mengerollten Zehneuroschein (der Notgroschen , wie ihre Mutter ihn nannte), die beiden Haustürschlüssel . . .
Mona erstarrte und richtete sich auf.
»Mirko?«
»Ja?«
»Da fehlt ein Schlüssel an meinem Bund!«
Stille.
»Mirko«, schrie Mona. »Mirko!«
»Ja, reg dich ab. Ich hab ihn.«
Mona riss die Augen auf. »Was hast du??«
»Ich hab den Schlüssel.« Er lachte belustigt. »Du hast ihn mir gestern Abend doch selbst gegeben. Zur Sicherheit, falls du dich aussperrst. Erinnerst du dich nicht mehr?«
»Was? Nein!« Panik stieg in Mona hoch. Stimmte das? War sie tatsächlich so blöd gewesen, ihm ihren Sicherheits schlüssel zu geben? Sie versuchte krampfhaft, sich zu erin nern. Aber irgendwie fehlte in Monas Erinnerung ein Stück vom gestrigen Abend. Sie wusste noch, dass sie auf der Party zusammengebrochen war, aber danach war nur noch Leere in ihrem Kopf. Ein richtiges Erinnerungsloch war da. Bis zu dem Moment, als das Telefon klingelte und sie in ihrem Bett aufgewacht war.
Ihr war auf einmal ganz heiß.
»Hör mal, jetzt bleib doch mal ganz cool.« Mirko klang immer noch so, als wäre alles in bester Ordnung. »Wieso machst du deswegen so ein Theater? Du hast doch sowieso zwei Schlüssel. Welcher Mensch braucht zwei Schlüssel für dieselbe Tür?«
»Der eine ist unser Reserveschlüssel!«
»Siehst du, den hab ich jetzt.« Mirkos Stimme war voll kommen ruhig. »Und das ist auch ganz richtig so«, fuhr er fort. »Hast du vergessen? Ich bin doch dein Beschützer.«
Mona hatte das Gefühl, dass jemand ihr mit einem Eis stückchen die Wirbelsäule entlangfuhr.
»Also – alles easy! Wir sehen uns nachher, Baby«, sagte Mirko. »Jetzt entspann dich mal.«
Sie umklammerte ihr Handy. Sie war kein bisschen ent spannt. Sie schrie: »Was heißt das: nachher?« Sie war nicht mehr in der Lage, ihre Stimme zu kontrollieren. Sie hatte das Gefühl, gar nichts mehr unter Kontrolle zu haben. »Das heißt heute Nachmittag. Ich muss vorher noch was er ledigen.«
»Du musst mir den Schlüssel zurückgeben! Sofort!« Mo nas Stimme überschlug sich. Wenn ihre Mutter erfuhr, dass der Reserveschlüssel weg war! Charlotte mit dem großen Si cherheitsbedürfnis! Das war der Super-GAU.
»Sechzehn Uhr«, sagte Mirko. Und dann war die Leitung tot, und als Mona versuchte zurückzurufen, meldete sich nur die Mailbox.
Zum Frühstück brachte Mona kaum etwas herunter. Aber sie zwang sich, die Wohnung aufzuräumen, sie lüftete alle Zimmer, sie machte ihre Hausaufgaben, ganz so, als erwarte sie jeden Augenblick die Rückkehr ihrer Mutter.
Sie ging einkaufen. Sie setzte sich an den Computer, aber sie konnte sich auf nichts konzentrieren.
Um zwei Uhr holte sie sich einen Küchenstuhl und das Theaterstück, das sie für den Deutschunterricht lesen soll ten (Herr Puntila und sein Knecht Matti von Bertolt Brecht) und setzte sich damit mitten in den Flur. So hatte sie den Blick immer fest auf die Wohnungstür gerichtet.
Sie hatte keine Ahnung, warum sie das tat, aber irgendwie schien es ihr wichtig, dass sie da saß.
Auf Herrn Puntila, der ewig besoffen ist und dann menschlich wird, aber als zurechnungsfähig gilt, wenn er nüchtern ist, konnte sie sich nicht konzentrieren. Sie ver stand nur, dass Puntilas Tochter Eva in den Knecht Matti verliebt war.
Manchmal hörte sie Geräusche im Treppenhaus. Einmal sogar das Lachen des Nachbarn aus England, dessen Namen sie vergessen hatte.
Für eine Sekunde überlegte sie, ob sie rausgehen und mit ihm reden sollte. Dann ließ sie es. Sie fühlte sich nicht gut
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