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Pas de deux

Pas de deux

Titel: Pas de deux Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Djian
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interessieren mochte. Jetzt beobachtete ich sie beide. Was immer sie sich erzählten, es hätte mich begeistert, ihnen zuzuhören, vielleicht hätte ich mich an ihrem Gespräch beteiligt oder ich wäre in den Garten gegangen, bis sich mein Tee ein wenig abgekühlt hätte. Es war so kalt draußen, daß ich gern einen getrunken hätte. Ich rieb mir über die Arme und schielte nach den Tassen, die überall im Zimmer dampften. Meine Mutter goß sich noch einmal einen großen Becher voll, während ich mir keine fünfzehn Meter entfernt den Tod holte.
    Es war tatsächlich Ramona, die da mit Oli quatschte. Ich erkannte ihr Profil, als sie sich vorbeugte und nach seiner Hand faßte. Ich fragte mich, was Edith ganz allein in ihrem Zimmer trieb. Ich hatte nichts gegessen, aber mir war ein wenig übel. Und zu allem Überfluß steckte ich in einer Rinne, durch die abwechselnd warm und eisig der Wind pfiff, während die Blätter der Linde über meinem Kopf nicht die Spur erzitterten. Die Vorhänge an meinem Fenster waren zugezogen. Olga tigerte umher, schüttelte die Kissen. Georges stand auf und setzte sich an den Tisch. Ich hatte das Gefühl, als gerieten in diesem Augenblick alle in Bewegung, als begännen sie ein Zeitlupenballett, dessen Musik ich nicht hören konnte. Ich schloß die Augen. Sie bewegten sich im Raum, vollführten Figuren wie im Wasser, so als hätte sich das Licht in Flüssigkeit verwandelt und als schwebten sie in einem Zauberaquarium. Das kam mir verdammt schön vor. Zwei-, dreimal führten sie eine Komposition voller Anmut auf, bei der sie sich auf den ersten Blick in einem heillosen Durcheinander zerstreuten, um dann auf geheimnisvollem Weg inmitten des Zimmers wieder zusammenzufinden und sich in dichtgedrängter Formation zum Garten hin aufzustellen, und da erhielt das Bild seinen ganzen Sinn. Ich bekam kaum noch Luft, ich hatte einen Arm quer über den Bauch gelegt und den andern ins Gras gerammt, um nicht nach vorn zu kippen. Die Ereignisse dieses Tages hatten mich endgültig geschafft. Ich hatte bittere Arzneien geschluckt, andere wieder waren zu süß, und mir war speiübel, meine Zähne knirschten, wenn die Wut überwog, und mein Kiefer zitterte, wenn nur Leere war.
    Ich war bereit, mich zu übergeben, denn ich hatte es verdient. Jedesmal, wenn sich mein Magen zusammenzog, füllten sich meine Augen mit Tränen. Und ich konnte mich nicht mehr bewegen. Also spie ich mir einen langen, heißen Strahl auf den Arm.
     
    Wir trennten uns in New York von dem Ballett. Oli hatte mir angeboten, Odile für die paar Tage, die wir vor unserer Rückkehr nach Frankreich dort verbringen wollten, nach Cape Cod mitzunehmen, aber ich hatte sofort abgelehnt, ohne darüber nachdenken zu müssen. Sie hatte mich nicht belogen, als sie meinte, zwischen uns wäre nichts, ihr Mann konnte sich beruhigt auf beide Ohren hauen. Ein-, zweimal hatte sie mich Paul genannt, während sie kam. »Oh, sei mir nicht böse«, hatte sie sich lächelnd korrigiert. »Ich schwöre dir, ich hab nicht an ihn gedacht …« Ich war nicht böse, ich war beeindruckt.
    Am Flughafen packte sie sich, während Oli Jérémie sein Gepäck übergab und die anderen sich auf die zollfreie Ware stürzten, mein Revers, dann küßte sie mich auf die Wange.
    »Wenn du einen anderen Weg findest, laß es mich wissen«, flüsterte sie mir ins Ohr.
    Danach verabschiedeten wir uns von ihnen.
    »Sie hat recht!« verfügte Giuletta und rutschte über die Rückbank, als wir Richtung Long Island fuhren.
    »Mmm … Die meisten Leute schaffen es, sich auf diese Weise selbst zu täuschen. Ich glaube nicht, daß du dir ein Beispiel an der Mehrheit nehmen solltest.«
    »Trotzdem … Es erscheint mir nicht normal, alles durcheinanderzuwerfen.«
    »Ja, aber man muß einen gesunden Kopf behalten. Und ein wenig die Seele eines Krämers haben. Vergiß nicht, daß es nie gut ist, seine Kräfte aufzuteilen, und daß ein fröstelnder Verstand in deinem Alter eine Art Anomalie ist, von der ich dich schleunigst heilen möchte.«
    Es dauerte immer einen Moment, bis sie reagierte, also nutzte ich die Gelegenheit, um noch ein paar Worte nachzuschieben: »An dem Tag, wo es dir gelingt, deinen Job, deinen Mann und deine Liebhaber voreinander zu schützen und es so zu deichseln, daß jeder in einem hermetisch abgeschlossenen Raum steckt, ohne irgendeine Beziehung zu den andern, tja, an dem Tag wirst du feststellen, daß das Leben nicht viel taugt und daß du dich selbst in eine dieser Kisten

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