Pas de deux
Waschbecken beugt: Selbst wenn er das Problem nicht zu lösen vermochte, konnte er immerhin die Lage verstehen – und das war schon einiges – und vielleicht den Schaden begrenzen. Ich hatte immer ein Stück Kordel bei mir.
Ich tat so, während ich mich darin vertiefte, als dächte ich an nichts anderes. Die Gegend war finster und reglos. Mir war bewußt, daß die Probleme immer komplexer wurden, je älter ich wurde, daß ich an teuflische, grauenerregende, einfach scheußliche Knoten geraten würde, und trotz all meiner Anstrengungen fühlte ich mich nicht bereit. Dabei hatte ich ein Zeichen mit auf den Weg bekommen. Ich war bei meiner Geburt fast gestorben, als sich die Nabelschnur um meinen Hals geschlungen hatte, aber das hatte nicht gereicht, es hatte mich beunruhigt, aber ich war noch nicht bereit. Ich fragte mich, ob ich es eines Tages sein würde, dann stand ich auf.
Kurz darauf kletterte ich eine Gaslaterne hoch, um mich über die Mauer zu schwingen. Und ich landete mitten in den Rosen, die Jérémie zwei Jahre zuvor, zur Erinnerung an die Premiere des Sacre, gepflanzt hatte.
Das gesamte Erdgeschoß war erleuchtet. Tief gebückt rannte ich zu der Linde, versteckte mich hinter ihrem Stamm.
Es war Teezeit. Chantal servierte ihn gerade. Sie kauerte vor meiner Mutter und Alice, die eines ihrer ewigen Bücher auf ihrem Schoß zusammenklappte und ihr lächelnd die Tasse hinhielt. Ich sah Georges’ Füße aus einem Sessel hervorschauen und den Rücken von Jérémie, der an einer der Fenstertüren stand und Rebeccas Hals untersuchte, er hatte ihr die Haare nach oben gestrichen und ihre Schulter bloßgelegt. Auf einer Ecke des Tisches widmete sich Olga einer Inventur ihres Nähkästchens. Gleich würde sie fragen, wer in ihren Sachen herumgestöbert hatte, ohne eine Antwort zu erhalten, weil man daran gewöhnt war. Karen hielt ihr Baby in den Armen. Ich hatte es noch nicht gesehen, ich kannte nicht einmal seinen Namen oder hatte ihn vergessen. Aber ich erinnerte mich, daß sie mir im Winter vorgeschlagen hatte, der Pate ihres Kindes zu werden.
Bei Ramona brannte Licht, ebenso bei Edith. Dabei erkannte ich Corinne und Oli auf dem Sofa, und sie unterhielten sich mit einer dritten Person, die in dem Schaukelstuhl saß. Ich konnte nicht sehen, wer von beiden es war, aber ich hatte den Eindruck, es war Ramona. Corinne hatte sich die Haare ganz kurz, à la Jean Seberg, schneiden lassen, und ich fand, es stand ihr prima. Als ich gegangen war, schwankte sie noch, sie hatte Angst, es nachher zu bereuen, und ich hatte ihr versprochen, sie bei ihrem Opfergang zu begleiten. Sie stand auf, während ich sie betrachtete, ging durchs Zimmer und kümmerte sich um den Plattenspieler. Ich konnte von meinem Posten aus nichts hören. Oli rutschte auf seinem Polster hin und her, lachte auf, aber ich hörte nichts, höchstens meinen Magen, der anfing zu grummeln und ein recht trauriges Röcheln von sich gab. Bislang hatte ich gekauert, jetzt kniete ich mich hin, um es bequemer zu haben. Dabei stellte ich fest, daß mein Polohemd durchschwitzt und meine Stirn tropfnaß waren. Ich wischte sie grob an meinem Ärmel ab. Dann legte ich mich flach auf den Boden, denn Chantal hatte diesen Moment der Unaufmerksamkeit genutzt, um sich an die Fensterscheibe zu stellen, und ich sah, daß sie mit der Tasse an den Lippen in meine Richtung blickte. Ich erstickte fast bei dieser Hitze, dennoch hielt ich den Atem an. Es dauerte eine Weile, bis mir klar wurde, daß ich im Schutz der Dunkelheit war. Als ich wieder Luft holte, klopfte mein Herz, als hätte ich einen Hundertmeterlauf hinter mir. Ich sah mich wieder, wie ich mich zwischen ihre Beine geschlängelt hatte, wie ich auf der Sitzbank des Zugs nach Warschau wie verrückt in sie eingedrungen war. Ich hatte nie ganz aufklären können, ob sie nun wußte, was ich getan hatte, oder nicht, und ich dachte eigentlich nicht gern daran. Ich hatte mich nach dieser Sache ein wenig von Alex ferngehalten, beinahe drei Jahre waren seitdem vergangen. Sie war leicht rumzukriegen, eine Nervensäge, hatte ein Spatzenhirn, aber ich mochte sie, sie taugte mehr als manch andere, die ich kannte und der ganz Paris zu Füßen lag. Corinne ähnelte ihr, war jedoch feinsinniger. Während die eine ihre verflixten Briefe schrieb oder Notizen machte, blätterte die andere Zeitschriften durch und hielt einen über den Zustand der Welt auf dem laufenden, sie schnitt Artikel aus und verteilte sie an jeden, der sich dafür
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